Leseprobe Diakoniebericht 2013
Wer von Hartz IV lebt, besitzt selten ein zuverlässiges Auto. Ein gut erhaltener Mittelklassewagen würde als Vermögen gerechnet und so den monatlichen Regelsatz mindern. Ein alter Gebrauchtwagen wird nicht angerechnet, doch große Ausgaben für Reparaturen und Werterhalt sind mit dem Regelsatz nicht zu leisten. Steigen die Werkstattkosten, wird das Auto abgestoßen. Doch wer kein Auto hat, ist im Arbeitsmarkt schwer vermittelbar. Ein Teufelskreis.
Wer nicht Schritt halten kann, erlebt schnell, was Ausgrenzung bedeutet. Tamara Weisheit würde gern aus Wahns wegziehen. Im 14 Kilometer entfernten Meiningen sieht sie viel eher die Chance auf einen Job. Ihr Dorf in der Thüringer Rhön bietet ihr keine Möglichkeiten. Tamara Weisheit weiß, dass sie derzeit nicht flexibel ist. Das Auto konnte sie nicht halten, die Kosten wurden zu hoch. Jeden Tag mit dem Bus nach Meinigen? Die alleinerziehende Mutter muss an ihren Sohn denken, den 6-jährigen Roberto. Der aufgeweckte Junge geht noch in die Kita und kommt im nächsten Jahr in die Schule. Tamara Weisheit will und muss für ihren Sohn da sein.
Also doch ein Umzug nach Meinigen, in der Hoffnung dort eine Anstellung zu finden? Die Umzugsbeihilfe vom Jobcenter gibt es nur, wenn Tamara Weisheit ein konkretes Arbeitsangebot vorweist. Eine Arbeit bekommt sie in der Stadt aber nur, wenn sie eine Wohnadresse in Meiningen vorweisen kann. Denn diese Erfahrung hat sie mit möglichen Arbeitgebern schon gemacht: Alleinerziehend mit Kind, kein Auto, täglich mit dem Bus aus Wahns? Nein danke, zu unsicher! In ihren früheren Job in der Altenpflege kann sie nicht mehr zurück, den körperlichen Belastungen ist sie gesundheitlich nicht mehr gewachsen.
Roberto genießt den Tag im Wald. Mit einem langen Stock zerschneidet er die Strahlen der Herbstsonne. Er zieht die Mütze tiefer ins Gesicht, als es zu nieseln beginnt. Er spricht nicht viel, doch er stürmt mit Eifer die Habichtsburg, bastelt einen Waldgeist aus Ton, grillt Würstchen am Stock über dem Holzfeuer. An diesem Ferientag im Herbst spricht Lutz Krumholz mit den Müttern und Kindern über Waldtiere, Laubfärbung und Burggeschichten. Krumholz ist Forstwirtschaftsmeister und Waldpädagoge. Im Auftrag des Landesbetriebes Thüringenforst bietet er Themen-Wanderungen und Waldprojekte als Bildungserlebnis. Krumholz ist ein Entertainer, ein Mann voller Geschichten und Ideen, mit lauter Stimme, Jagdhorn und lustigen Spielen. Die Kinder sind begeistert. Eine alte Eiche, die Habichtsburg und der Regen werden zur Kulisse für unbeschwertes Lernen. Vor dem Abstieg fassen sich alle an den Händen, genießen die Luft und die Weite, atmen schweigend die erhebenden Eindrücke in sich ein.
Eine Minute Schweigen fällt mancher Mutter schwerer, als den Kindern. „Einige Frauen sind schon lange raus aus dem Berufsleben. Sie müssen bestimmte soziale Kompetenzen erst wieder lernen.“, sagt Barbara Meincke-Merkel, die zusammen mit Romy Rößner das Projekt leitet. Dieser Tag im Wald ist Teil eines Trainings, einer Maßnahme im Programm TIZIAN (Thüringer Initiative zur Integration und Armutsbekämpfung-Nachhaltigkeit). Mit Seminaren, Übungen, Vorträgen und Gruppenaktionen sollen hier Alleinerziehende befähigt werden, wieder Tritt zu fassen, die eigenen sozialen Kompetenzen und die Selbstwahrnehmung zu stärken.20 Frauen zwischen 26 und 51 Jahren bekommen für 12-18 Monate Unterstützung durch die Neue Arbeit Thüringen in Meiningen. Der Diakonie-Verein engagiert sich in der Arbeits- und Berufsförderung. Die Teilnehmerinnen sollen die Chance haben, Perspektiven und Ziele für sich selbst und ihre Kinder zu entwickeln.
Tamara Weisheit will genau das. „Ich hoffe einfach, dass wir beide gesund und munter bleiben und dass wir unseren Optimismus nicht verlieren.“