Jahreslosung 2015
Nehmt einander an – Gedanken zur Jahreslosung 2015
Es gibt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Art und Weise, wie Christus sich der Menschen angenommen hat und wie sich die Menschen gegenseitig annehmen sollen. So wie Christus die Menschen angenommen hat, das ist das Idealbild, das Vorbild dafür, wie sich Menschen gegenseitig annehmen sollen, ganz grundsätzlich und egal in welchen sozialen Zusammenhängen. Das klingt ganz gut. Lässt sich das für das alltägliche Leben konkretisieren? Dann müssen wir genau ansehen, wie Christus uns angenommen hat, um daraus für uns auch Schlüsse ziehen zu können.
Die Frage „Wie hat Christus uns angenommen?“ lässt sich beantworten im Zusammenhang mit einem für die evangelische Theologie wichtigen Thema: dem der „Rechtfertigung des Menschen durch Gott“.
Etwas rechtfertigen, sich selbst rechtfertigen müssen, gerechtfertigt werden – das alles ist - mehr als uns lieb ist – zunächst etwas sehr Alltägliches. Wir müssen uns oft rechtfertigen, weil für andere unser Verhalten nicht plausibel ist oder es jemanden verärgert hat. Und wir rechtfertigen uns deshalb, weil wir unser Verhalten – auch wenn es für andere falsch erscheint -, irgendwie für notwendig darstellen, gerade damit wir uns dafür nicht entschuldigen müssen.
Wer clever ist oder redegewandt oder gut beraten, der wird das in vielen Fällen schaffen, auch eigenes Fehlverhalten so darzustellen, dass es als solches nicht angesehen wird und er sich so auch rechtfertigen kann – vor anderen Menschen, vor Gericht, wo auch immer. Und dann ist er von Schuld freigesprochen. Wer einen milden Blick auf sich selbst hat, wird Argumente und genug Gründe finden, trotz eigenem Fehlverhalten sein Gewissen beruhigen zu können, und sich vor sich selbst zu rechtfertigen. Es kann aber auch sein, dass jemand im Recht ist, ohne es beweisen und andere davon überzeugen zu können. Dann gilt er dennoch als schuldig. Und es kann sein, dass jemand so sehr mit sich selbst und seiner Schuld hadert, dass er daran zerbricht.
Bei Gott und den Menschen verhält sich „Rechtfertigung“ ganz anders. Gott kennt unsere Schuld, wo wir versagt haben, wo wir feige waren, andere im Stich gelassen, betrogen und richtig üblen Schaden zugefügt haben. Unabhängig von all dem sagt aber Gott: All das, was ich sehe und weiß, lege ich dir nicht so zur Last, dass ich dich ein für allemal verurteile. Vielmehr bin ich bereit, dich so zu akzeptieren, wie du bist - mit deiner ganzen Geschichte, wenn du nur eines sagen kannst: Nämlich dass du glaubst, dass Jesus Christus der Herr und Heiland über dein Leben und Sterben ist. Wenn du das glaubst, dann hast du in mir jemanden, der dich ohne wenn und aber anerkennt und demgegenüber du dich einmal verantworten kannst und sollst – und zwar ohne Angst. Wenn du das so sagen kannst und glaubst, dann bin ich für dich ein absolut verlässliches Gegenüber und du bist für mich – so wie du bist, ohne Einschränkung – gut und richtig.
Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.“ Ich akzeptiere dich so, wie du bist! Ich will dich nicht verändern und du musst nicht erst ein anderer werden, damit ich dich akzeptiere! Ich sehe deine Stärken und will dich ermutigen, sie zum Tragen zu bringen in deinem Leben und in dieser Gesellschaft! Ich sehe aber auch deine Fehler und Nöte! Ich sehe, was Du brauchst und will dich unterstützen, so gut ich kann. Ich will nicht fallen lassen, sondern dir gegenüber Vertrauen wagen und dir, auch wenn es mich Mut kostet, entgegenkommen! Diese Schlussfolgerungen lassen sich eigentlich auf alle Bereiche übertragen: auf das Zusammenleben von Paaren und Familien, auf das Miteinander in Ausbildung und Beruf, auf die Willkommenskultur gegenüber Fremden und Flüchtlingen, sogar auf die große Politik.
Auch wenn klar ist, dass wir die Intention der Jahreslosung nicht in allem leben können – es wird auch im neuen Jahr Situationen geben, in denen sich der Versuch lohnt, einmal anders zu agieren oder zu reagieren als sonst – eben im Geist der Jahreslosung. Das können dann Weichenstellungen sein, die anderen gut tun und helfen und nicht zuletzt uns selbst. Dazu gebe Gott seinen Segen!
Ihnen allen ein gutes und segensreiches neues Jahr!
Oberkirchenrat Eberhard Grüneberg