FSJ statt Schrott - oder: Wie ich unerwartet eines der tollsten Jahre meines Lebens hatte!

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Katharina Schmutzer
Referentin FSJ und BFD

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Der Freiwilligendienst ist für junge Menschen eine neue Herausforderung: Sie arbeiten in der Regel ein Jahr lang in einer sozialen Einrichtung und sammeln Eindrücke und Erfahrungen. Sina Pakendorf hat bei uns einen Freiwilligendienst absolviert und spricht über ihre Gedanken und Erfahrungen in unserem Blog.

Nach dem Abi war für mich vor allem klar, dass ich Medizin studieren möchte – am besten sofort und ohne Zeit zu verlieren. Schnell belächelte ich Klassenkameraden, die eifrig ein Jahr Auszeit in Neuseeland planten oder in Tansania arbeiten wollten. Nein, sowas kommt für mich nicht in Frage, ich gehe meinen geplanten Weg und ziehe das auch so durch, so bin ich nun mal. Mit meiner besten Freundin plante ich also meinen beruflichen Werdegang recht akribisch: Bewerbungen wurden verschickt, Wohnungsanzeigen herausgesucht. Und dann der Schock: Das Abitur, auf das ich bis dahin stolz war und das mich auf meiner Mediziner-Wolke hat schweben lassen, war nicht ausreichend für einen Studienplatz und ich fiel aus allen Wolken auf den harten Boden der Tatsachen: kein Studienplatz – und nun?

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Sina Pakendorf: „Ich habe mich im Freiwilligendienst spannenden Herausforderungen gestellt – und bin wirklich dankbar für diese Erfahrung."

Nach zahlreichen Eskalationen meiner Tränendrüsen und den folgenden Familienratssitzungen war klar: ein FSJ ist eine gute Lösung, um nicht herum zu gammeln und für ein Jahr beschäftigt zu sein, bis die nächsten Bewerbungsrunden an der Uni starten. Ja, genau: Das waren meine ersten Gedanken zu einem Jahr, das später mich und meine Sicht der Dinge verändern sollte.

Auf die Empfehlung einer Freundin hin bewarb ich mich dann auch schnurstracks in der Freien Schule in meiner Heimatstadt. Wie passend (oder auch nicht), dass ich eben dort zuvor mein Abitur erworben hatte und nun zurückkehrte, denn, ja, ich wurde als FSJlerin angenommen und gleich der Schulsozialarbeit zugewiesen.

In den ersten drei Monaten konnte ich mich glücklicherweise als teamfähige, verantwortungsvolle und fröhliche Kollegin beweisen. Als ehemalige Schülerin war mir der Ablauf der Schule vertraut und die Lehrer und Mitarbeiter größtenteils auch. Das war schon mal ein großer Pluspunkt und sprach für mich. Nach etwa einer Woche wurde mir von meiner Anleiterin ein Einsatzplan erstellt, damit übernahm ich auch schon meine ersten Aufgaben eigenständig.

Gefühlte zehn Pausenaufsichten und Freiarbeiten später war klar: Wir sind ein super Team! Nicht nur zur Schulsozialarbeiterin hatte ich ein super Verhältnis, auch zur pädagogischen Mitarbeiterin und zu der Kollegin im Bundesfreiwilligendienst entwickelte sich ein kollegiales Gefühl. Absprachen im Team und Aufgabenverteilung liefen reibungslos. Ich fühlte mich auf einmal nicht mehr als kleine FSJlerin, sondern als vollwertiges Mitglied im Kollegium, das autonom agierte und sich nicht herumkommandieren ließ.

Schnell lernte ich die Namen der Schüler (ja … ich kann ALLE) und begann auch für die Organisation im Büro Vorschläge einzubringen: Dank mir müssen die Fachlehrer ihre Nachschreiber-Schüler zwei Tage vorher anmelden, denn ich habe einen Plan erstellt, in den das eingetragen werden muss. Auch wenn dies einige Lehrer nervte und sie sich manchmal darüber beklagten, akzeptierten sie dennoch die Entscheidung der FSJlerin – enorm wichtig für mein Ego.

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Ausflüge mit den anderen Freiwilligen gehören zum FSJ – und machen viel Spaß.

Doch irgendwo mussten ja auch mal Schwierigkeiten auftauchen: Was mir mit den Ü-30 Lehrern gut gelang, verpatzte ich mit den U-15 Schülern. Ich spreche von Autorität. Nach einer Weile fiel mir auf, dass ich zwar als Autoritätsperson von den Schülern anerkannt wurde, jedoch hatte ich das Problem, dauerhaft meine Professionalität im Sinne von Nähe und Distanz aufrechtzuerhalten. Ich denke, diese Schwierigkeiten rührten auch vom geringen Altersunterschied her: Ich konnte mich einfach noch zu gut mit diesem Alter und den damit verbundenen Situationen der Schüler identifizieren. Besonders während einer Fahrradtour mit der 7a ist mir dieser emotionale Seiltanz aufgefallen: Einerseits nahm ich die Position der coolen FSJlerin ein, mit der man lachen und quatschen konnte, und andererseits musste ich die Schüler bei Manövern, wie Straße überqueren und Landstraße fahren, zur Ordnung rufen.

Kaum hatte ich mich in der Schule und meinen damit verbundenen Posten gut eingerichtet, flatterte auch schon die erste Einladung für das Kennenlern-Seminar herein. Skeptisch bereitete ich mich auf das erste Treffen unserer Seminargruppe vor. Schon bald bemerkte ich, wie bunt zusammengewürfelt unsere Gruppe ist – und das war auch gut so. Nach der elendig langen Fahrt durch die Pampa der Dölauer Heide traf ich auf einen bunten Haufen unterschiedlicher und doch liebenswürdiger Charaktere, mit denen ich noch spaßige Wochen erleben sollte. Vor allem die entspannte und doch strukturierte Art unseres Mitarbeiters der Diakonie gefiel mir ausgesprochen gut. Im Verlauf der Seminare erlebte ich ihn als einen Begleiter, den man bei Fragen immer kontaktieren konnte, der jede Idee, die wir vorschlugen, ernst nahm und der vor allem (und das überraschte mich) gleichwertig in unsere Seminargruppe integriert war (ich sage nur: „Ich-hab-noch-nie“-Spiel).

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Ein bunter Haufen unterschiedlicher, aber liebenswürdiger Charaktere.

Überrascht hat mich vor allem das Wissen, welches ich mir zu den unterschiedlichen Zwischen-Seminaren aneignen konnte. Besonders eindrücklich war das Thema „Psychische Krankheiten“. Zugegeben - ich hielt Menschen mit Burnout oder Essstörung immer für komisch und belächelte sie. Prompt saß mir in diesem Seminar eine gestandene Frau mit Borderline-Störung vor der Nase. Während ich ihr zuhörte, wie sie offen mit ihrer Krankheit umgeht und darüber spricht, bemerkte ich bei mir selbst einen Wandel. Endlich realisierte ich, dass wir hier wirklich von einer Krankheit sprechen. Und ich entwickelte Verständnis, was ich zuvor kaum für solche Situationen hatte. Wie konnte ich vorher nur solche Menschen belächeln? Aber gut, wieder was gelernt! Danke, Diakonie.

Und nun nochmal zur Gruppe, die mir wirklich ans Herz gewachsen ist. Wie ich schon erwähnte, sind wir ein bunter Haufen. Trotzdem tut es dem Gruppengefühl nichts ab. Wir nehmen Rücksicht aufeinander, besonders, wenn es um gemeinsame Absprachen geht, wie zum Beispiel gemeinsames Abendessen vorbereiten oder Wanderungen planen. Zu manchen Teilnehmern, besonders von der weiblichen Front, habe ich sogar eine richtige Freundschaft entwickelt. Ich selbst bin darüber sehr glücklich, da es sich auch auf meinen kompletten Rückblick auf das FSJ auswirkt: Hätte ich das FSJ nicht angefangen, hätte ich diese Menschen nie kennengelernt.

In den Seminaren habe ich versucht, mich inhaltlich und gemeinschaftlich einzubringen. Dies als gut oder schlecht einzuschätzen, vermögen wohl nur meine Seminar-Kollegen, jedoch wurde ich weder beleidigt, noch wurde ich kritisiert, was ich als positives Zeichen ansehe. Auch nach vier gemeinsamen Seminaren wollten sie immer noch was mit mir unternehmen, weiterer Pluspunkt!

Durch meine Arbeit in der Schule habe ich vor allem gelernt, wie so ein richtiger Arbeitsalltag aussieht. Wie es ist, in einem Team mit Kollegen zu arbeiten. Wie es ist, etwas Wichtiges zu organisieren. Wie es ist, gefordert zu werden. Wie es ist, auf das Mittagessen zu verzichten, damit du deine Arbeit schaffst.

Gerade in der Schulsozialarbeit habe ich Situationen von Schülern kennengelernt: gute und schlechte. Ich habe sie aus einem anderen Blickwinkel kennengelernt, aus der Sicht der Person gegenüber. Ich war nicht mehr selbst die Schülerin mit einem Problem, sondern die Mitarbeiterin, die sich dieses Problems annimmt. Da ich auch mit solchen Schülern selbst gesprochen habe und nun weiß, wie ich in bestimmten Situationen reagieren muss, möchte ich dies einfach mal als Kompetenzerwerb bezeichnen. Und nein, trotz alledem und trotz vieler Stimmen, die mich im Laufe des FSJ überreden wollten, doch Lehrerin zu werden, hat das Jahr nicht an meiner beruflichen Entscheidung gerüttelt. Ich möchte Ärztin werden, denn trotz aller Kompetenzen kann ich mir den Beruf des Lehrers nicht für den Rest des Lebens vorstellen. Und da ich trotz dieses Jahres pädagogischer Arbeit meinen Berufswunsch nicht geändert habe, ist es doch auch irgendwie eine Bestätigung für meine weiteren Ziele.

Trotzdem bin ich im Nachhinein der Meinung, dass dieses Jahr mich hat reifen lassen und ich dem Schülersein nun endgültig entwachsen bin. Ich bin selbständiger geworden und fühle mich nochmal mehr in mir geerdet. Ich denke mittlerweile: „Es war gut so!“. Ich bin dankbar für dieses Jahr und für die damit verbundenen Erfahrungen und Menschen, die ich kennengelernt habe!

Text und Fotos: Sina Pakendorf

Hintergrund: Sina Pakendorf war eine der Freiwilligen, die vergangenes Jahr einen Freiwilligendienst bei der Diakonie Mitteldeutschland absolviert haben. Neben den vielen positiven Erfahrungen und Begegnungen hat sie sich auch so mancher Herausforderung gestellt und gemeistert. Lust auf eine neue Herausforderung? Zu finden auf www.deine-herausforderung.de.