Der Wärmewinter in Rudolstadt und Weimar
Herzenswärme. Ein wundervolles Wort. Es vereint das Herz, das wir mit Liebe, Zuwendung und Güte verbinden, mit der Wärme, die Geborgenheit, Schutz und Behaglichkeit ausdrückt. Ein starker Ausdruck in einer Zeit, in der eher Hass, Hetze und eiskalte Worte mehr Raum in unserer Gesellschaft einnehmen wollen. Was stärkt den Zusammenhalt, wenn der Ton rauer wird? Nicht nur in sozialen Netzwerken und in Talkshows, auch auf der Straße wird laut artikuliert, wofür oder wogegen man ist. Uns ist wichtig: alle Menschen haben die gleiche Würde. Alle Menschen verdienen ein Existenzminimum, von dem sie gut leben können. Und nur in Gemeinschaft können wir Menschen wirklich glücklich werden. Einsamkeit und Vereinzelung breiten sich aus – besonders im ländlichen Raum. Die zahlreichen Initiativen im Rahmen der Aktion #wärmewinter füllen eine Lücke und gewähren Menschen Herzenswärme, die im Gespräch eher leise Töne anschlagen. Menschen, die über ihre finanzielle Situation oder fehlende Kontakte kaum oder nur vorsichtig sprechen. Wir waren in Rudolstadt und Weimar mit Menschen im Gespräch.
Kontakt
„Den ganzen Tag alleine in der Wohnung zu sitzen, ist nicht mein Ding.“
Mittwochvormittag, 11 Uhr, in der Innenstadt von Rudolstadt. Über einen kleinen Hof betreten wir ein Wohnhaus, das Stiftshaus „Herberge zur Heimat“. An den Briefkästen und den Aushängen im Hausflur vorbei geht es in den hinteren Bereich. Dort erwartet uns der köstliche Geruch einer frischen Suppe und ein herzliches Willkommen. Ursel Fricke und Christine Reichel empfangen uns. Die beiden Seniorinnen und Bewohnerinnen des Hauses engagieren sich ehrenamtlich für das wöchentliche Essensangebot der Diakonie. „Ich bin immer froh, wenn ich mittwochs hier mit anderen Leuten zusammenkomme.“, berichtet uns Ursel Fricke, während wir einen Teller dampfenden Pichelsteiner Eintopf erhalten.
Das Haus bietet barrierefreie Wohnungen, die vom Diakonieverein Rudolstadt zur Verfügung gestellt werden. Der Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss ist ein beliebter und belebter Treffpunkt. Gottesdienste, Bilderreisen, Kartenspielrunden und Flohmärkte locken nicht nur die Bewohnerinnen und Bewohner, sondern zahlreiche Menschen der Stadt an. Immer mittwochs gibt es eine warme Suppe, Tee oder Kaffee und gute Gespräche.
Der Pichelsteiner Eintopf schmeckt sehr gut. Die Küche des Diakonievereins Rudolstadt bereitet das Essen zu. Der geringe Geldbetrag für die Suppe ist eher symbolisch, Spenden sind immer willkommen. Finanziert wird das Angebot in erster Linie aus Mitteln der Aktion #wärmewinter. Leiterin Constanze Reußmann hofft aber, eine dauerhafte Finanzierungsmöglichkeit zu finden und wirbt um Patinnen und Paten für das Projekt. Schließlich kommen jede Woche 45 bis 60 Besucherinnen und Besucher. Das Angebot scheint einen Nerv zu treffen. „Wir beobachten, dass Zuwendung wichtig ist – in jeglicher Hinsicht.“, sagt Constanze Reußmann zu dem verbindenden Punkt, der die zahlreichen und sehr unterschiedlichen Gäste vereint.
„Es geht nicht zuerst um Bedürftigkeit, es geht um Gemeinschaft.“
Christine Reichel wohnt jetzt seit fünf Jahren im Stiftshaus „Herberge zur Heimat“. Die vorige Wohnung wurde ihr zu groß, Tochter und Enkeltochter leben in Erfurt. Reichel ist 76 Jahre alt, aber der Begriff Ruhestand passt nicht zu ihr. Als das zweite von sieben Kindern hat sie früh gelernt, Verantwortung für andere zu übernehmen, hat früh einen Blick dafür entwickelt, was andere Menschen brauchen. Das war dann auch im breit gefächerten Berufsleben von Vorteil, die Arbeit hat ihr Spaß gemacht, ob im Bibliothekswesen, im Labor für Textilphysik, in der Nachrichtentechnik, der Stadtverwaltung oder als Verkaufsleiterin.
Jetzt ist es eben die Begegnungsstätte, in der sie seit einem Jahr ehrenamtlich und sehr aktiv mitarbeitet. Wohnen und Ehrenamt unter einem Dach, die befreundete Nachbarin wird gleich auch noch mitgezogen. „Es geht hier nicht zuerst um Bedürftigkeit, es geht um Gemeinschaft.“ Und deshalb wünscht sie sich, dass die Zusammenarbeit in der Begegnungsstätte weitergeht.
Neben Constanze Reußmann, Ursel Fricke und Christine Reichel gibt es zahlreiche weitere helfende Hände, die wöchentlich mit anpacken. Ein Bewohner des Hauses hilft beim Tische stellen, die Auszubildenden im Bereich Pflege des Diakonievereins Rudolstadt helfen regelmäßig bei der Essensausgabe und versorgen sogar mobilitätseingeschränkte Gäste in der Nähe per Hausbesuch. Das Team ist bunt gemischt. Herzlich und engagiert bringen Sie sich bei der Aktion ein. Es ist das einzige Angebot dieser Art in Rudolstadt.
Rudolstadt ist eine Stadt mit vielen Gesichtern. Neben großen Kulturschätzen und der wundervollen Natur hat die Stadt auch mit bitterer Armut zu kämpfen. Schätzungsweise 100 wohnungslose Menschen sind in der Stadt unterwegs. Ein Mann, der einen Einkaufswagen mit seinen Habseligkeiten vor sich herschiebt, nimmt die warme Suppe und die Möglichkeit für ein Gespräch – und zum Lesen in der Bibel – an diesem Mittwochvormittag wahr. Wir merken schnell: Neben der Gemeinschaft und Begegnung ist es auch die tatsächliche reale Armut, die Menschen bewegt, die Diakonie-Aktion aufzusuchen.
Dagmar Ramme kommt einmal im Monat in die Begegnungsstätte um „mit Menschen zusammen zu sein.“ Sie mag die Gespräche und die Tatsache, dass sie immer wieder unterschiedliche Menschen trifft. Dagmar Ramme ist 63 Jahre alt, hat keine Kinder und lebt allein. Die gelernte Köchin hat zuletzt bei der Lebenshilfe in einer Montageabteilung gearbeitet. Vor drei Jahren wurde sie für lange Zeit so krank, dass sie inzwischen mit einer EU-Rente und Wohngeld auskommen muss. Das funktioniert auch ganz gut: „Man kommt mit wenig aus.“ Sie kauft dort ein, wo es Rabatte gibt. Das damit gesparte Geld kommt in eine Sparbüchse und reicht dann mal für vier Tage Wien oder die Störtebecker-Festspiele auf Rügen. In Rudolstadt trifft sie sich regelmäßig mit Freundinnen und ehemaligen Arbeitskolleginnen in einem Café. Da ist die Wärmewinter-Aktion in der Begegnungsstätte ein zusätzliches aber willkommenes Angebot und „eine gute Sache!“
Patinnen und Paten sind dringend gesucht
Wolfgang Preuß ist Stammgast in der Begegnungsstätte. Der 72-Jährige aus dem kleinen Ort Teichel bei Rudolstadt besucht einmal in der Woche Bekannte in einem Pflegeheim. Dabei nutzt er auch gleich die Möglichkeit, bei der Diakonie einzukehren. Warum er hier ist, fragen wir ihn: „Wegen der Suppe und wegen der Gespräche.“ Der Rentner wohnt allein, zu Nachbarn hat er keinen oder sogar schlechten Kontakt. Da kommt das Angebot der Diakonie wie gerufen. Preuß ist in seiner Mobilität eingeschränkt und bezieht nur eine kleine Rente. Zu DDR-Zeiten hat er vor allem in der Reparatur von Elektronik-Kleingeräten gearbeitet und dabei stets im Umland von Rudolstadt gelebt. Er ist der Region tief verbunden und besonders für regionale Geschichte interessiert er sich sehr. Seine Wohnung ist nur 27 qm² groß, die stark gestiegenen Heizkosten machen ihm Sorgen. Seine Lebensmittel bezieht er über die Tafel in Teichel oder er kommt eben zum Essen zur Diakonie nach Rudolstadt. Trotz des geringen Einkommens merkt man schnell: es sind die Gespräche, die Wolfgang Preuß Woche für Woche hierherkommen lassen und nicht finanzielle Sorgen. Er sagt, er kommt gut über die Runden.
Hoffentlich finden sich über den #wärmewinter hinaus Patinnen und Paten zur Finanzierung der Aktion, damit Wolfang Preuß, Dagmar Ramme und die anderen Gäste auch in Zukunft wöchentlich warmes Essen und die Gemeinschaft genießen können.
„Zu Tisch bei Jakob“ in Weimar
Ortswechsel: Ein Dienstagmittag in Weimar. Direkt gegenüber der Jakobskirche in der Weimarer Altstadt liegt das Gemeindehaus der Jakobsgemeinde. Ein großes Banner und ein Aufsteller vor der Tür laden zum Essen ein. „Zu Tisch bei Jakob“ heißt die Aktion in Anspielung auf den Gemeindenamen. Betritt man den Gemeindesaal der Jakobsgemeinde, dann erlebt man direkt buntes Treiben und eine herzliche Begrüßung. Die mit Tischdecken und Dekoration schön gestalteten Tische bieten Platz für jeweils acht Personen. Da kommt man schnell mit anderen Gästen ins Gespräch.
„Zu Tisch bei Jakob“ ist eine gemeinsame Aktion der Diakoniestiftung Weimar Bad Lobenstein und des Kirchenkreises Weimar. Gefördert wird das Angebot durch die Aktion #wärmewinter. Jeden Wochentag sind in der Zeit von 11.30 bis 14.30 Uhr die Tische gut besetzt. 60 bis 75 Menschen nehmen das Angebot pro Tag in Anspruch. Man trifft hier Mitarbeitende der Diakonie und aus der Gemeinde an einem Tisch mit Architekten, Handwerker sitzen neben Seniorinnen, auch den Superintendenten und Mitglieder des Weimarer Orchesters trifft man hier hin und wieder. Einige Menschen kommen aus den umliegenden Dörfern und verbinden den Einkaufstag in der Stadt mit einem Besuch der Diakonie-Aktion. Der Standort mitten in der Altstadt ist bewusst gewählt, da hier Menschen aus unterschiedlichen Stadtteilen und mit unterschiedlichen Lebenssituationen und -erfahrungen unterwegs sind. Das Essen ist sehr gut, das hat sich schnell herumgesprochen. Gekocht wird entweder im Diakonie Landgut Holzdorf oder in der Küche der Klinik Service Gesellschaft.
„Ich finde das Projekt so toll, ich muss das einfach unterstützen.“, sagt Birgit Steittmann, die am Tisch neben uns gerade ihre Kürbissuppe mit Wursteinlage isst. Die 70-jährige Rentnerin arbeitete früher als Predigerin im landeskirchlichen Gemeinschaftsverband. Jetzt ist sie als Stammgast täglich „Zu Tisch bei Jakob“. Aufgrund gesundheitlicher Probleme muss sie sich schonen. Täglich zu kochen ist zu anstrengend, da ist das Essensangebot im Gemeindesaal eine willkommene Entlastung. Sie kommt gern mit Freundinnen und Freunden hierher, aber auch allein, um neue Leute kennenzulernen.
Finanziell kommt Birgit Steittmann ganz gut über die Runden. Doch muss sie sich an vielen Stellen einschränken. Früher ist sie gern gereist, besonders nach Norwegen oder nach Ungarn. Das ist jetzt nicht mehr möglich. Auch das geliebte Auto musste sie aus finanziellen Gründen aufgeben. Ihre Wohnung ist groß. Da sie dort aber schon über 30 Jahre wohnt, möchte Birgit Steittmann sie nicht aufgeben – und nimmt die hohe Miete in Kauf. Über die deutliche Mieterhöhung konnte sie eine Staffelung mit dem Vermieter vereinbaren. Zur Gegenfinanzierung spart sie dabei an den Heizkosten. Da bleibt ihr Wohnzimmer an manchen Tagen eben kalt. Ein Lichtblick sind da vor allem die netten und jungen Nachbarn, die hilfsbereit und freundlich der Seniorin zur Seite stehen. Ihr Geheimnis guter Nachbarschaft: „Man muss den ersten Schritt machen. Man darf nicht warten.“, verrät sie uns mit einem Lächeln.
„Was die hier in der Gemeinde machen, ist ganz wichtig.“
Klaus-Dieter Aker ist fast täglich hier. Er bezieht eine Rente, ist aber seit 25 Jahren und noch immer als Reinigungsdienstleister selbständig. Im Projekt „Zu Tisch bei Jakob“ ist er ehrenamtlich engagiert – mit genau dem, was er die anderen Stunden des Tages beruflich tut. Böden und Treppen reinigen, Tische und Stühle ordnen, auch beim Eindecken der Tische helfen. Aber was sagen Rücken und Knie dazu, wenn er mit seinen 69 Jahren noch täglich schwere Arbeit verrichtet? „Kein Problem, die Knie sind sowieso nicht mehr die echten!“, scherzt Aker. „Was die hier in der Gemeinde machen, ist ganz wichtig. Da bin ich gern mit dabei.“
Sabrina Thormann huscht flink und fröhlich durch den Raum. Jeder kann sehen, dass es ihr Spaß macht, die Menschen am Tisch zu bedienen. „Ich habe gern Kontakt zu Leuten.“ Thormann, 38 Jahre jung, arbeitet in einer Werkstatt der Diakoniestiftung Weimar-Bad Lobenstein. Das Samocca, ein inklusives Café im Studienzentrum der historischen Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar, ist ihr Stamm-Arbeitsplatz. Von dort bringt sie Gastronomie-Erfahrung mit. Jetzt ist sie von Montag bis Freitag mit Begeisterung im Jakobsgemeindesaal.
Sven Steinbach schaut auf die Klimakrise und die schnellen gesellschaftlichen Veränderungen täglich mit technisch-wissenschaftlichem Blick. Der Professor für Energetische Bewertung forscht und lehrt an der FH Erfurt. Er kennt die Studien, nach denen Menschen mit mittlerem und geringem Einkommen von der Klimakrise besonders betroffen sind. Er macht sich große Sorgen und will gleichzeitig einen positiven Beitrag leisten. Als ehrenamtlich Engagierter im Gemeindekirchenrat in Weimar sieht er in der praktischen Hilfe im Projekt die Chance, neue Kontakte zu knüpfen, aus „der eigenen Blase rauszukommen. Es gibt auch emotional kalte Wohnungen. Als Kirchengemeinde können wir hier zeigen: wir sind ansprechbar.“ Und als Ingenieur kann er berechnen, was eine Kirchengemeinde in Energiefragen besser machen kann. „Die Kirche im Winter einfach kalt lassen.“, schon das brächte 20 bis 30 Prozent Energieeinsparung. So wirbt Steinbach dafür, andere Räume zu schaffen. Der Gemeindekirchenrat steht im Ganzen so deutlich hinter dem Projekt, dass es eine Warteliste derer gibt, die am Jakobstisch mitarbeiten wollen, Gäste bedienen und Austausch pflegen. „Ein geniales Projekt mit hoher Beteiligung.“, sagt Sven Steinbach und trägt Sülze und Kürbissuppe an den nächsten Tisch.
Wie wichtig Orte der Begegnung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind, zeigen Aktionen wie „Zu Tisch bei Jakob“ in Weimar oder das wöchentliche Mittagessen in Rudolstadt. Das Gespräch mit der Nächsten oder dem Nächsten ist bereichernd und weitet den Horizont. Miteinander statt übereinander zu reden ist der entscheidende Punkt. „Ich lege die Kraft lieber in die Diskussion, als auf die Straße zu gehen.“, erläutert Birgit Steittmann ihren Fokus. Wir hoffen, dass die zahlreichen Projekte im Rahmen der Aktion #wärmewinter und andere Angebote der Diakonie und der Kirchen zu diesen Begegnungen ihren Teil beitragen können. Denn dann breitet sich die Herzenswärme schneller aus, als es soziale Kälte kann – davon sind wir nach unseren Besuchen in Weimar und Rudolstadt überzeugt.
Hintergrund: Gestiegene Preise und große Sorgen. Das war im Winter 2022/2023 Anlass die Aktion #wärmewinter von Kirche und Diakonie ins Leben zu rufen, die diesen Winter in die zweite Runde geht. Viele Menschen erleben die aktuelle Zeit voller Angst oder Unsicherheit. Manche stehen finanziell soweit am Rand, dass ihre Existenz bedroht ist. Andere Menschen sind den ganzen Tag allein zuhause und vermissen Gesellschaft. Gleichzeitig wird der Ton in der Politik rauer, Menschen machen ihrem Unmut bei Protesten und Demonstrationen Luft. Die Aktion #wärmewinter von Diakonie und Kirche will der (sozialen) Kälte Nächstenliebe und Zuwendung entgegensetzen. Deswegen wurden die Kirchensteuermehreinnahmen aus der Energiepauschale und zahlreiche Spenden in die Finanzierung von Tafeln, Wärmestuben, Kleiderkammern und anderen Formen der Unterstützung investiert. So kann Menschen geholfen werden, deren Not in diesem Winter am größten ist. Weitere Informationen finden Sie unter www.diakonie.de/waermewinter. Unterstützen können Sie die Aktionen mit einer Spende an “Diakonie – Hilfe vor Ort”. Wer die wöchentliche Suppenausgabe in Rudolstadt unterstützen möchte, findet an dieser Stelle weitere Informationen. Zum Angebot „Zu Tisch bei Jakob“ können Sie sich hier informieren.