Diakonie Landesverbände in Ostdeutschland zum Start der neuen Bundesregierung
Mit Erwartungen und Hoffnungen blicken die ostdeutschen Landesverbände der Diakonie – Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz, Mecklenburg-Vorpommern, Mitteldeutschland und Sachsen – auf den Start der neuen Bundesregierung – eingeleitet durch die Wahl des Bundeskanzlers heute im Deutschen Bundestag.
Populistische, radikale und nationalistische Tendenzen sind eine Gefahr für das demokratische Miteinander. Politisches Handeln, das auf Ausgleich, Respekt und Beteiligung setzt, kann dagegen Vertrauen zurückgewinnen und Polarisierungen entgegenwirken.
In der Sozialen Arbeit der Evangelischen Kirchen in Ostdeutschland, organisiert in vier Diakonie-Landesverbänden, erfahren Menschen in mehr als 7.000 sozialen Einrichtungen und durch 131.000 hauptamtliche Mitarbeitende täglich Hilfe und Begleitung. Die sozialen Herausforderungen in Ostdeutschland sind oft sichtbarer, spürbarer und drängender als in anderen Bundesländern. Die Diakonie in Ostdeutschland erwartet, dass die Politik der neuen Bundesregierung die Lebensrealitäten der Menschen in Ostdeutschland konkret in den Blick nimmt.
Die Fortführung der Institution eines oder einer Ostbeauftragten durch die neue Bundesregierung ist wichtig und nötig. Ostdeutschland braucht eine Politik, die zuhört, Brüche versteht und gemeinsam mit den Menschen tragfähige Lösungen entwickelt.
Sozialstaat sichern – Bürgergeld nicht aushöhlen
Ein funktionierender Sozialstaat ist der Grundpfeiler einer solidarischen Gesellschaft. In Ostdeutschland (einschließlich Berlin) sind 7,6 Prozent der Bevölkerung auf Bürgergeld angewiesen, im Westen liegt die Quote bei 4,6 Prozent.
Die Pläne der neuen Bundesregierung, das Bürgergeld zu einer „neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende” zu entwickeln, bewertet die Diakonie kritisch. Wer das Bürgergeld vorrangig unter dem Gesichtspunkt von Eigenverantwortung diskutiert, verkennt die soziale Realität vieler Menschen. Das bestehende Bürgergeld ist ein Instrument zur Stabilisierung in Notlagen – eine Hilfe, die Menschen in schwierigen Lebenslagen eine Perspektive eröffnet. Wir appellieren an die neue Bundesregierung, das menschenwürdige Existenzminimum nicht infrage zu stellen und an den Grundsätzen eines solidarischen Sozialstaats festzuhalten.“, sagt Oberkirchenrat Christoph Stolte, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Mitteldeutschland. „Wichtig ist, arbeitslose Menschen intensiv zu begleiten, zu fördern und weiterzubilden, damit sie nachhaltig in Arbeit kommen können.“
Demokratie fördern
Das Bekenntnis der neuen Bundesregierung zur Stärkung der demokratischen Kultur ist ein wichtiges Signal. Diakonische Einrichtungen leisten in vielen Regionen Ostdeutschlands einen Beitrag zur politischen Bildung, Demokratieförderung und sozialen Integration.
Mit der angekündigten Überprüfung des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ wird auf die Bedeutung langfristiger und oft schwer messbarer Wirkungen hingewiesen. Projekte der politischen Bildung benötigen Zeit, Vertrauen und verlässliche Strukturen. Gerade in Ostdeutschland sind langfristig geförderte Projekte unverzichtbar, um unsere liberale Demokratie zu schützen und lebendig zu halten. Es braucht ein Demokratiefördergesetz.
Pflege braucht jetzt Perspektive und Flexibilität für alle
Die demographische Entwicklung und die wachsende Überalterung der Gesellschaft im Osten stellen das Pflegesystem vor große Herausforderungen. Pflegende Angehörige, auch im Rentenalter, müssen besser abgesichert werden. Das kann durch Maßnahmen wie eine Lohnersatzleistung und zusätzliche Rentenpunkte erreicht werden. Der Zugang zu (Unterstützungs-)Leistungen der Pflegeversicherung muss noch transparenter und einfacher werden. Auch so können die An- und Zugehörigen vor Überlastung geschützt werden.
Alle Menschen müssen sich eine gute Pflege leisten können. Nur durch eine Pflegevollversicherung mit einem bezahlbaren Eigenanteil statt der heutigen „Teilversicherung“ können Pflegebedürftige vor unabwägbaren finanziellen Risiken und Armut geschützt werden. Dafür eine berechenbare Eigenvorsorge aufzubauen, muss realistisch umsetzbar bleiben.
Kommunen stärken – Zukunft sichern
Sozialdienstliche Aufgaben brauchen eine verlässliche und auskömmliche Finanzierung. Die geplante „Verschlankung des Förderwesens“ kann es insbesondere ostdeutschen Kommunen erleichtern, wichtige soziale Aufgaben zu erfüllen. „Die Kommunen stehen aber zugleich unter erheblichem Spardruck durch überbelastete Landeshaushalte und sinkende Einnahmen. Es sind oft einzelne diakonische Einrichtungen, die in ganze Sozialräume ausstrahlen. Sie bieten eine qualitätvolle soziale Versorgung von Kita über Beratungsstellen bis zum Hospiz an und tragen so maßgeblich zu gelebter Solidarität vor Ort bei. Das geht nur in handlungsfähigen Kommunen. Flächendeckende Angebotseinschränkungen oder Standardabsenkungen können nicht die Antwort sein.“, so Christoph Stolte.
Die künftige Bundesregierung muss die Sozialraumplanung priorisieren – nur so lassen sich vorhandene Ressourcen gezielt einsetzen, Versorgungslücken schließen und die Lebensqualität der Menschen in benachteiligten Regionen nachhaltig verbessern. Der „Pakt für Pflege“ in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zeigt, wie Kommunen und damit die Menschen vor Ort gezielt gestärkt werden können. Diakonie und Städte und Gemeinden können gemeinsam die pflegerische Infrastruktur verbessern, Sozialräume können durch flexible Angebote und durch Vertrauen in das Wissen der Menschen vor Ort gestärkt werden.
Die ostdeutschen Freiwilligendienste stärken besonders in kommunalen Sozialräumen das Gefühl von Selbstwirksamkeit. Aktiv zu werden und einen positiven Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten, gibt gerade jungen Menschen Halt und Orientierung und trägt zum positiven Erleben von Demokratie bei.
Berlin/ Halle/ Radebeul/ Schwerin, 6. Mai 2025