Steigende Kosten und eine steigende Zahl an Bedürftigen – aber immer weniger zum Verteilen. Das Hilfe-Modell der Tafeln steht derzeit in gewaltigem Stress. 14 Tafeln mit 24 Ausgabestellen gibt es unter dem Dach der Diakonie Mitteldeutschland in Sachsen-Anhalt und Thüringen. Vor der Corona-Pandemie waren es pro Ausgabeort durchschnittlich 400 Menschen, die als Tafelpassinhaber regelmäßig Lebensmittel stark verbilligt erwerben konnten.
Im April hat die Diakonie Mitteldeutschland ihre Mitgliedseinrichtungen befragt, wie sich die Situation in den Tafeln angesichts steigender Betriebskosten und Anmeldezahlen aktuell beschreiben lässt. Die Rückmeldungen ergeben ein nahezu einheitliches Bild vom Thüringer Wald bis in die Altmark.
In Suhl erlebt die Kreisstelle für Diakonie einen regelrechten Ansturm. Es kämen Menschen, die sich vor einem halben Jahr noch geschämt hätten, die Tafel in Anspruch zu nehmen: Rentner, Alleinstehende, Mütter, die Familien zu versorgen haben. In Weimar haben sich von 700 Menschen aus der Ukraine, die seit Kriegsbeginn in die Stadt gekommen sind, 500 in der Tafel registrieren lassen. In Halle (Saale) wurden für die neu aufgenommenen Bedürftigen die Öffnungszeiten erweitert. Die Tafel Ilmenau musste im April auf gestiegene Zahlen mit einem vorübergehenden Aufnahmestopp reagieren.
Die Lebensmittelspenden aus Supermärkten und Bäckereien sind in den letzten Monaten deutlich zurückgegangen. Die Tafel in Meiningen verzeichnet einen Rückgang von Joghurt, Käse, Wurst, Milch, anderer Kühlware und Obst und Gemüse um ein Drittel. Bei Mehl, Zucker und Reis sind es sogar 50 Prozent.
Spenden von Privatpersonen haben mancherorts zugenommen, können die entstandenen Lücken aber nicht füllen. Diese Entwicklung ist nicht ganz neu. Viele Supermärkte und Produzenten achten inzwischen darauf, dass möglichst wenig Lebensmittel übrigbleiben. „Das ist ja ein Grundgedanke der Tafelbewegung, Lebensmittel nicht wegzuwerfen und das, was Kundinnen und Kunden nicht kaufen wollen, preiswerter an Bedürftige abzugeben. Daraus ist aber eine Hilfe entstanden, auf die immer mehr Menschen angewiesen sind.“, sagt Christoph Stolte, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Mitteldeutschland. „Tafeln sind weder die Lösung noch das eigentliche Problem: Sie können Armut strukturell nicht beseitigen, aber sie verfestigen die Armut auch nicht. Wer Hartz IV, eine Armutsrente oder Asylbewerberleistungen bezieht, kann oft einfache und alltägliche Bedürfnisse nicht mehr über einen Einkauf im Supermarkt befriedigen. Die Regelsätze und die davon abgeleiteten Sozialleistungen sind zu niedrig.“ Steigende Wohn- und Energiekosten erhöhen den wirtschaftlichen Druck für Menschen mit geringen Einkünften zusätzlich.
Steigende Kosten sind in den letzten Monaten auch für die Tafeln ein großes Problem. Das Diakonische Werk Altmark West rechnet für die Tafelräume in Gardelegen, Jahrstedt und Klötze mit einer Verdopplung der Heizkosten. Für die Kühlfahrzeuge steigen an allen Orten die Dieselkosten um 30 bis 50 Prozent.
Sind die Tafeln am Ende? Christoph Stolte: „Tafeln muss es nicht geben. Als Symbol von mangelnder Gerechtigkeit und Teilhabe dürften sie von mir aus auch verschwinden. Aber solange diese Hilfe Not lindert und Menschen tatsächlich unterstützt, sollten wir dafür sorgen, dass Spenden und der hohe ehrenamtliche Einsatz weiter ihre gute Wirkung hervorbringen können.“ Unabhängig von derzeit schnell steigenden Kosten und steigender Nachfrage gilt für die Tafeln seit Beginn ihrer Arbeit, dass sie Politik und Sozialverwaltung in Deutschland „durch ihr freies Engagement nicht von den Verpflichtungen des Sozialstaatsprinzips entbinden.“, so Diakoniechef Stolte.