Diakonie ist Teil der Kirche

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OKR Christoph Stolte
Vorstandsvorsitzender der Diakonie Mitteldeutschland

Merseburger Straße 44, 06110 Halle (Saale)
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(22. November 2018) Die Diakonie Mitteldeutschland ist ein Werk der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland und der Evangelischen Landeskirche Anhalts, kirchengesetzlich geregelt also ein struktureller Teil dieser beiden Landeskirchen. Gleichzeitig sind wir ein Verein von Mitgliedern, die alle als juristisch selbstständige Gesellschaften, Vereine oder Stiftungen in der Sozialen Arbeit aktiv sind. Die meisten dieser Organisationen wurden vor Jahrzehnten und zum Teil schon Mitte des 19. Jahrhunderts als örtliche evangelische Hilfseinrichtungen gegründet.
Oberkirchenrat Christoph Stolte sprach am 21. November 2018 vor der Landessynode der EKM (Kirchenparlament) über das Verhältnis dieser Einrichtungen zu den Kirchengemeinden und der Landeskirche.

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Auf der Herbstsynode der EKM trug OKR Christoph Stolte den Bericht des Diakonischen Werkes Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland vor. (Foto: Frieder Weigmann)

Johann Hinrich Wichern äußert sich zum Verhältnis von Diakonie und Kirche in seiner Rede auf dem Wittenberger Kirchentag am 22. September 1848 so: „Meine Freunde, es tut eins not, daß die evangelische Kirche in ihrer Gesamtheit anerkenne: ´Die Arbeit der inneren Mission ist mein!`, daß sie ein großes Siegel auf die Summe dieser Arbeit setze: die Liebe gehört mir wie der Glaube. Die rettende Liebe muß ihr das große Werkzeug, womit sie die Tatsache des Glaubens erweiset, werden.“

Das 19. Jahrhundert war eine Zeit rasanter technologischer und gesellschaftlicher Veränderungen. Und zugleich war es eine Zeit der Verelendung großer Teile der Bevölkerung. Deshalb wächst neben der Kirche in vielen Initiativen und Vereinen eine lebendige tatkräftige Hilfstätigkeit für verwahrloste Kinder und Jugendliche, kranke, arme und alte Menschen, Menschen mit Behinderung, Kriegsversehrte, Haftentlassene, Wohnungslose, Suchtabhängige und andere mehr. Es bilden sich Diakonissenanstalten, Arbeiterkolonien, Suppenküchen, Stadt- und Bahnhofsmissionen, Rettungshäuser und Diakonengemeinschaften.

Christinnen und Christen übernehmen Verantwortung für ihren Nächsten, weil ihnen das materielle Elend, die Heimat-, Orientierungs- und Glaubenslosigkeit zu Herzen geht. Viele der heutigen Mitgliedseinrichtungen der Diakonie Mitteldeutschland haben in dieser Zeit ihren Ursprung. Manchmal ist es noch gut zu erkennen, wie z.B. an einem Haus in Naumburg, welches an der alten Fassade noch den Schriftzug „Herberge zur Heimat“ trägt. Es wird von einem kleinen Verein gleichen Namens betrieben und auch heute leben dort unter sehr einfachen Bedingungen arme Menschen.

Was Hinrich Wichern auf dem Wittenberger Kirchentag 1848 umtreibt, ist das Verhältnis der neu entstandenen vielfältigen Diakonie, damals Innere Mission genannt, zur Institution Kirche. Wichern wirbt darum, dass die Verkündigung des Evangeliums und die soziale Frage, dass die Botschaft der Barmherzigkeit Gottes und die konkrete Hilfe für den einzelnen Menschen zusammengehören.

Die Verkündigung des Evangeliums geschieht in Wort und Tat. Das ist die gemeinsame Aufgabe der vielen Initiativen und Einrichtungen der Inneren Mission damals und der Diakonie heute, gemeinsam und in enger Verbundenheit mit der Kirche in ihren verschiedenen Ausprägungen.
Heute sind wir uns theologisch einiger als auf dem Wittenberger Kirchentag 1848. Aber zugleich müssen wir mit zwei Gefahren umgehen: Zum einen, dass Kirchengemeinden die diakonische Dimension des Gemeindelebens übersehen bzw. die Kräfte dafür nicht ausreichen. Zum anderen, dass diakonische Einrichtungen sich auf einzelne, oftmals hoch spezialisierte soziale Dienstleistungen konzentrieren und dabei die geistliche Dimension ihrer Arbeit aus dem Blick verlieren.

Wichern wirbt darum, dass die verfasste Kirche die Innere Mission als einen neuen lebendigen Teil von Kirche anerkennt und Verantwortung übernimmt. Und auch heute ist das Verhältnis von verfasster Kirche und diakonischen Einrichtungen immer wieder neu zu gestalten.
Ich greife dieses Thema in meinem Bericht aus zwei Gründen auf. Zum einen, weil es gilt einen besonderen Reichtum in der EKM wahrzunehmen. Und zum anderen, weil aufgrund des kirchlichen Traditionsabbruches und der fortschreitenden Säkularisierung unserer Gesellschaft hier eine gemeinsame Gestaltungsaufgabe liegt.

Zuerst zum Reichtum der EKM und der Diakonie Mitteldeutschland. Dieser Reichtum besteht in der Gemeinschaft, die zwischen Kirchengemeinden bzw. Kirchenkreisen und diakonischen Einrichtungen gelebt wird.
Ich will mehrere Beispiele erzählen, die ich bislang in der EKM entdeckt habe. Dabei will ich besonders betonen, dass diese exemplarisch zu verstehen sind, das heißt ohne Vollständigkeit und ohne jede Wertung!

Da wird 100 Jahre Stiftung Finneck mit einem wunderbaren Konzert von Kantorei und Orchester des Kirchenkreises unter großer Beteiligung der Gemeindeglieder und Bewohner der Einrichtung in einer vollen Kirche in Rastenberg gefeiert. Da gestaltet der Kirchenkreis Bad Frankenhaus-Sondershausen gemeinsam mit der Diakonie Ebenleben und weiteren diakonischen Trägern einen gemeinsamen Mitarbeitertag für Gemeindekirchenräte und Mitarbeitende der Diakonie im Kloster Volkenroda. Bei der Arbeitsgemeinschaft diakonischer Träger in Südthüringen sind die Superintendentin aus Meiningen und der Dekan von Schmalkalden selbstverständlicher Teil der Gemeinschaft.

In Weimar laden jedes Jahr der Kirchenkreis, die Diakoniestiftung Weimar-Bad Lobenstein und das Sophien- und Hufelandklinikum gemeinsam zur Verleihung des Herder Förderpreises viele Menschen der Stadt in die Herderkirche und zum anschließenden Gartenfest ein. Im Augustinerkloster Gotha sind durch eine enge Zusammenarbeit der Kirchengemeinde und des Diakoniewerks Gotha ein Begegnungszentrum, ein Café und ein Hotel entstanden. Da feiert der Diakonieverein Burghof Schönebeck sein 25-jähriges Bestehen mit vielen Verantwortlichen aus der Kirchengemeinde und dem Kirchenkreis und der Superintendent des Kirchenkreises Egeln übernimmt den Vorstandsvorsitz. Sicher könnten viele von ihnen diese Aufzählung durch eigene Bespiele erweitern.

Ich zitiere noch einmal Johann Hinrich Wichern: „Daß nun der Kirchenbund Förderung und Schutz dieser Tätigkeit zukommen lasse, daß er die innere Mission in sich aufnehmen wolle, unbeschadet der notwendigen Freiheit derselben: so würde dieser Arbeit ein Stempel aufgedrückt, wovon ein Gottessegen ausgehen müßte.“

Wichern betont die Zusammengehörigkeit und zugleich die notwendige Freiheit. Schon damals waren die Organisationsformen verschieden. Zum einen die verfasste Kirche als Teil der staatlichen Organisation und zum anderen die Innere Mission, christliches bürgerschaftliches Engagement, organisiert in Stiftungen und Vereinen, heute die EKM und daneben die Diakonie Mitteldeutschland als Landesverband mit 270 Mitgliedern. Alle sind selbständige und eigenverantwortliche Rechtsträger. Die Freiheit in der jeweils eigenen Weise zu arbeiten, in einer Weise die durch den Auftrag und die jeweilige Zeit bestimmt ist, ist strukturprägend.

Einrichtungs-Diakonie ist heute in gemeinnützigen sozialwirtschaftlichen Unternehmen organisiert, die der unternehmerischen Logik auf dem Markt verschiedener Anbieter sozialer Leistungen folgen müssen. Seit der Aufgabe des Kostendeckungsprinzips mit Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 muss konsequent betriebswirtschaftlich gedacht und gehandelt werden. Dabei tragen die Geschäftsführenden Verantwortung für eine nachhaltige Unternehmensentwicklung. Das anvertraute Vermögen soll in der Weise zur Auftragserfüllung eingesetzt werden, dass aus einem ausreichenden Jahresüberschuss wieder investiert werden kann. Betriebswirtschaftlich immer weiter optimierte Unternehmensführung ist dabei notwendige Voraussetzung und Hilfsmittel, um diakonisch tätig sein zu können. Selbstzweck darf sie nicht werden.

Kirche und Diakonie benötigen die von Wichern genannte Freiheit, um sich so weiterzuentwickeln, das sie ihren eigenen Werten entsprechen und ihren Auftrag erfüllen können. Sie müssen daran gemessen werden, ob sie ihrem Auftrag inhaltlich und organisatorisch glaubwürdig gerecht werden.
Im Gegensatz zur Zeit Wicherns Mitte des 19. Jahrhunderts hat die Diakonie heute eine gemeinsame Marke mit für alle verbindliche Standards entwickelt. Sie sind Ausdruck des diakonischen Selbstverständnisses als Dienstgemeinschaft. Zugleich ist es eine große Herausforderung, die verbindenden Standards der Diakonie gemeinsam so weiter zu entwickeln, dass der Auftrag in einer sich schnell verändernden Gesellschaft nachhaltig und glaubwürdig erfüllt werden kann. Dazu müssen die dafür vorgesehenen Prozesse von allen Seiten her konstruktiv gelebt werden. Ich bin davon überzeugt, dass sich Diakonie deutlich weiterentwickeln muss, aber nur miteinander und nicht gegeneinander oder auch nicht nebeneinander. Das ist ohne Zweifel sehr anstrengend und auch mühsam. Aber nur so hat das Kronenkreuz einen für alle geltenden Inhalt.

In ihrer jeweiligen Organisationsform müssen sich die Kirche und ihre Diakonie notwendigerweise unterscheiden, aber nicht in ihrem Auftrag der Verkündigung und des Lebens des Evangeliums. Viele Verständigungsschwierigkeiten haben ihren Grund in verschiedenen Denkweisen, Organisationslogiken und Sprachformen.

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Wie geht es 2019 in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland weiter? Die Entwicklungen haben auch auf die Arbeit der Diakonie großen Einfluss. (Foto: Frieder Weigmann)

Worin liegt nun die gemeinsame Gestaltungsaufgabe der EKM und der Diakonie?
Aufgrund der Säkularisierung unserer Gesellschaft werden die Kirchengemeinden schnell kleiner. Zugleich wird es immer schwieriger Mitarbeitende in Diakonie und Kirche zu finden, die einer Kirche angehören. In vielen Bereichen, z.B. der Pflege, bietet der Arbeitsmarkt das gar nicht an. Die Zahl der Mitarbeitenden mit Kirchenzugehörigkeit wird daher weiter abnehmen.

Parallel wurde in den vergangenen Jahren bei vielen diakonischen Trägern und in der Diakonie Mitteldeutschland im Rahmen der Bildungsinitiative in die diakonische Bildung und damit in die Profilbildung investiert. Es gibt in vielen Einrichtungen Beauftragte für das geistliche Leben. Es gilt, nicht resignativ dem Irrtum der Selbstsäkularisierung zu verfallen, sondern gerade aufgrund der derzeitigen Entwicklung kraftvoll, ideenreich und immer einladend das geistliche Leben in den Einrichtungen zu pflegen und auszubauen. Diakonie ist Kirche aufgrund der gelebten Werte, Kultur und Führungsweise, verbunden mit der Verkündigung des Evangeliums im Alltag der Einrichtungen.

Die Neuaufstellung der Diakonen-Ausbildung ist der richtige Weg, damit es theologisch-diakonisch qualifizierte Frauen und Männer, beauftragt und eingesegnet als Diakoninnen und Diakone durch unsere Kirche, in Kirche und Diakonie gibt. Sie werden als sogenannte „Ankerpersonen“ das geistliche Leben im Alltag fördern. Wir begrüßen sehr, dass durch Pfarrer Dr. Thomas Seidel am Diakonischen Bildungsinstitut Johannes Falk diese Ausbildung hochqualifiziert ausgestaltet wird. Die Diakonische Gemeinschaft der Brüder und Schwestern des Lindenhofs Neinstedt und der Brüder- und Schwesternschaft Johannes Falk Eisenach kommt Gemeinschaften in der Begleitung der Ausbildung und der Aufnahme der Diakoninnen und Diakone eine bedeutende Zukunftsaufgabe zu. Unser Dank gilt der EKM, die diese Ausbildung finanziell fördert und damit ermöglicht.

Zudem ist es gut, wenn die Verbindung von Kirchengemeinde und diakonischer Einrichtung vor Ort intensiver gelebt wird. Ich bin davon überzeugt, dass wir die vorhandenen Möglichkeiten noch besser nutzen können.

Da feiert beispielsweise die Kirchengemeinde Mansfeld im Winter Gottesdienste nicht in der wunderschönen und eiskalten Kirche, sondern im Saal des Johanniterhauses, eines Altenpflegeheimes der Johanniter Seniorenhilfe, warm, einladend und mit einer einfachen Organisation des Kirchenkaffees.
Ich möchte sie ermutigen, sich gegenseitig stärker mit den vorhandenen Möglichkeiten zu unterstützen. Es ist doch bedauerlich, wenn regelmäßige Gottesdienste, Andachten und Bibelstunden in diakonischen Einrichtungen im Nachrichtenblatt der Kirchengemeinde nicht veröffentlich werden.
Die EKM und ihre Diakonie verbindet die gemeinsame Gestaltungsaufgabe bei allen Unterschieden in den Organisationen, eng miteinander verbunden zu sein und gemeinsam das Evangelium in einer säkularen Gesellschaft in Wort und Tat zu leben.


Der komplette Bericht von OKR Christoph Stolte wurde von der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland auch als Live-Stream auf YouTube gesendet.