Teilhabechancengesetz - Hoffnung für Langzeitarbeitslose?

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Steffen Mikolajczyk
Referent Grundsatzfragen/Sozialpolitik und Sozialplanung

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(22. Januar 2019) Wie kann man Langzeitarbeitslose wieder in reguläre Beschäftigung bringen? Ein Konzept dafür ist als Gesetz verabschiedet worden und trat zum 1. Januar in Kraft: das Teilhabechancengesetz. Doch ist es der große Wurf geworden, den man sich versprochen hat? Unser Beitrag blickt auf die Details.

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Schreinermeister Reinhard König unterrichtet junge Männer im Umgang mit Holz. Die „Neue Arbeit Thüringen e.V.“ in Meiningen ist in der Region ein Anlaufpunkt für viele Menschen ohne Arbeit. (Foto: Tristan E. Fürstenau)

Die Politiker haben ihre Hausaufgaben gemacht: Ein fünfjähriges Programm, das bis zu zehn Jahre für Langzeitarbeitslose Arbeit und damit Teilhabe finanziert. Dabei werden Zuschüsse für einstellende Unternehmen, Qualifizierungsmaßnahmen und begleitendes Coaching gegeben. Das Teilhabechancengesetz versucht die unterschiedlichen Ansprüche von Langzeitarbeitslosen und Unternehmen zu berücksichtigen. Ziel ist es, langfristig sichere sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze für arbeitswillige Menschen zu schaffen.

Das Gesetz hat viele schon vor Jahren aufgestellte Forderungen der Diakonie umgesetzt, doch geben einige Punkte Anlass zur Skepsis.
Rolf Baumann ist Leiter der „Neue Arbeit Thüringen e.V.“ Der diakonische Verein in Meiningen ist im Bereich der Arbeits- und Berufsförderung aktiv. In 30 Jahren aktiver Dienstzeit hat Baumann viele arbeitsmarktpolitische Gesetze erlebt und teilweise auch überlebt. „Das Teilhabechancengesetz ist ein Erfolg. Besonders die langfristige Ausrichtung über fünf Jahre hinweg ist wichtig. Die Menschen brauchen eine Perspektive.“ Von einem kurzfristigen Programm ins nächste zu wechseln frustriert Menschen, weiß Rolf Baumann durch Gespräche mit Klienten der „Neue Arbeit“.
Das Teilhabechancengesetz sieht vor, Unternehmen finanziell zu unterstützen, die einen Menschen für fünf Jahre einstellen, der vorher in den letzten sieben Jahren mindestens sechs Jahre lang arbeitslos war. Für die ersten zwei Jahre der Beschäftigung bekommt das Unternehmen vom Staat 100 Prozent der Lohnkosten erstattet. Ab dem dritten Jahr fällt der Zuschuss jährlich um 10 Prozent. Das soll die Anstellung von Langzeitarbeitslosen für Unternehmen attraktiv machen. Die große Hoffnung besteht darin, dass die Langzeitarbeitslosen nach den fünf Jahren auch ohne staatliche Förderung beschäftigt bleiben.

Klamme Kommunen und besondere Kompetenzen
Die Eigenanteile, die Unternehmen ab dem dritten Jahr zahlen, sieht Ralf Baumann als ein Problem an. „In großen Städten wie Stuttgart mag das sicher funktionieren, aber für die Kleinunternehmen in Thüringen sind diese Eigenanteile eine Herausforderung. Die Kommunen sind in einigen Regionen der größte Arbeitgeber. Und viele Kommunen sind finanziell klamm.“ Eine kleinteilige Wirtschaftsstruktur bringt auch begrenzte Personalressourcen mit sich. Sind kleine Unternehmen bereit die Zeit ihrer Fachkräfte zur Einarbeitung von Langzeitarbeitslosen zu opfern? Der zunehmende Fachkräftemangel kommt allerdings den Arbeitssuchenden entgegen.

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Die Einrichtung der „Neue Arbeit Thüringen“ im Meininger Stadtteil Jerusalem besitzt auch eine eigene Nähwerkstatt. Hier können sich Interessierte im Umgang mit Textilien ausprobieren. (Foto: Tristan Fürstenau)

„Soziale Kompetenzen sind auch ein Punkt, den Langzeitarbeitslose für sich nutzen können. In vielen Bereichen sind diese Kompetenzen viel wichtiger, als gute Qualifikationen. So sind beispielsweise Menschen, die aus einem schwierigen sozialen Umfeld kommen besonders gut darin, Menschen mit genau dem gleichen Schicksal zu helfen. Das wird in der Zukunft der sozialen Arbeit eine große Rolle spielen.“ Rolf Baumann sieht hier neben der sozialen Arbeit auch in der Pflege, dem öffentlichen Sektor, der Gastronomie und der Tourismusbranche viele Chancen, Langzeitarbeitslose erfolgreich zu integrieren.

„Die Digitalisierung ist ein großes Thema. Wir brauchen Arbeit, die auf soziale Kompetenzen setzt und nicht automatisierbar ist. Das ist besonders in den Dienstleistungsbranchen der Fall.“ Inwieweit die Dienstleistungsunternehmen in Mitteldeutschland die Potentiale des Teilhabechancengesetzes erkennen werden, bleibt abzuwarten.

Gutes Coaching allein reicht nicht!
Ein weiterer Knackpunkt des Gesetzes ist das Coaching. Bei Langzeitarbeitslosen gibt es häufig Gründe, die einer normalen Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt im Weg stehen. Diese sogenannten Vermittlungshemmnisse können vielfältig sein. Das reicht von familiären Problemen über gesundheitliche Einschränkungen bis hin zu Sucht oder Sprachbarrieren. Sozialpädagogen sollen hier die Menschen bei ihrem Berufseinstieg begleiten und die Hemmnisse abbauen. Rolf Baumann sieht das im Gesetz geplante Verfahren kritisch. „Man kann die Leute nicht in ein Unternehmen setzen mit einem Coach, der nur zwei Stunden in der Woche da ist. Das funktioniert nicht. Die Hauptlast der sozialen Integration würde weiterhin auf den Unternehmen liegen. Die wären damit überfordert.“

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Rolf Baumann ist der Leiter der „Neue Arbeit Thüringen e.V.“ Er besitzt über 30 Jahre Erfahrung mit Arbeits- und Berufsförderung. (Foto: Tristan E. Fürstenau)

Rolf Baumann sieht die Lösung in der gezielten Berufsvorbereitung. Die „Neue Arbeit Thüringen e.V.“ nimmt genau so etwas in den Blick. In der Meininger Einrichtung kommen Menschen verschiedenen Alters und verschiedener Kulturen zusammen, um in geschützten Räumen an Beschäftigung herangeführt zu werden. Es gibt eine eigene Nähwerkstatt, eine Küche, eine Holzwerkstatt und einen Raum, in dem Metall verarbeitet wird. Die Besucher können sich ausprobieren, Talente und Interessen entdecken und so die eigene Qualifikation verbessern.

„Bevor wir Unternehmen einen Arbeitnehmer vermitteln, prüfen wir ihn ganz genau. Das ist wichtig.“ Rolf Baumann kann hier auf jahrelange Erfahrungen zurückblicken. Die Besucher seiner Einrichtung erlernen Fähigkeiten und Grundwissen, die sie für Arbeitgeber attraktiv machen. Die Förderung solcher geschützten Arbeit wäre für die Integration Langzeitarbeitsloser enorm wichtig, findet im Teilhabechancengesetz aber kaum Platz.

Wie sich das Teilhabechancengesetz in der Praxis bewähren wird, bleibt abzuwarten. Rolf Baumann bleibt hier optimistisch: „Jede neue Integrationsmöglichkeit braucht eine Chance. Wichtig ist nur, hier nachsteuern zu können.“ Das wird in der Politik leider zu oft vergessen. Wir sind gespannt, ob es durch das Konzept gelingt, Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeit zurück in gesicherte und langfristige Beschäftigung zu bringen. Die Entwicklung werden wir aufmerksam verfolgen.

Hintergrund: Das Teilhabechancengesetz ist ein Förderprogramm für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf dem allgemeinen, ersten Arbeitsmarkt. Die Arbeitgeber werden branchen- und strukturübergreifend einbezogen. Die Förderdauer ist auf bis zu fünf Jahre (Gesamtlaufzeit zehn Jahre) angesetzt und bis zu 100 Prozent der entstehenden Lohnkosten können gefördert werden. Begleitend wird ein breit angelegtes Coaching (vor- und nachgelagertes Coaching ist möglich) finanziert, das eine Integration der Menschen in das Unternehmen erleichtern soll.