Die Diakonie Mitteldeutschland antwortet auf den AfD-Brief an Sozialeinrichtungen

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OKR Christoph Stolte
Vorstandsvorsitzender der Diakonie Mitteldeutschland

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(26. Juni 2020) Träger Sozialer Arbeit in Sachsen-Anhalt haben in den vergangenen Tagen einen offenen Brief der AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt erhalten. Die Diakonie Mitteldeutschland antwortet öffentlich auf das Schreiben an ihre Mitgliedseinrichtungen.

Sehr geehrter Herr Kirchner, sehr geehrter Herr Siegmund,

mit Datum vom 19. Mai 2020 haben Sie verschiedene diakonische Mitgliedseinrichtungen der Diakonie Mitteldeutschland angeschrieben. Als Landesverband der Diakonie in Sachsen-Anhalt veröffentlichen wir dazu diese Antwort.

Sie behaupten, auf den Ausbruch von Sars-CoV-2 Infektionen in Deutschland hätten die politisch Verantwortlichen mit „unkoordinierten, widersprüchlichen und hysterischen Maßnahmen“ reagiert. Die durch das Handeln der politisch Verantwortlichen erfolgten Einschnitte in die Grundrechte und das Wirtschaftsleben seien vermeidbar gewesen.

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Die AfD-Fraktion Sachsen-Anhalt hat sich in einem Brief an Träger Sozialer Arbeit gewandt. Themen sind die Coronapandemie und die Hygienemaßnahmen der Landesregierung (Foto: Diakonie Mitteldeutschland)

Wir haben das Handeln der Landesregierung in Sachsen-Anhalt und aller Ministerien und nachgeordneten Behörden als sehr verantwortlich, konsequent und der Gefahrenlage angemessen wahrgenommen. Dieses Handeln war in dieser Klarheit notwendig, um eine exponentielle Ausbreitung des Virus in der Bevölkerung zu verhindern.

Träger von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen haben in den vergangenen Monaten erlebt, das durch Sars-CoV-2-Infektionen erfolgte Erkrankungen lebensbedrohlich sein können und teilweise einer intensivmedizinischen Behandlung bedürfen. In Deutschland sind knapp 9.000, davon in Sachsen-Anhalt 58 Menschen, die mit dem Virus infiziert waren, verstorben. Der Tod von knapp 9.000 Menschen zeigt die weiterhin bestehende Bedrohung des Lebens durch das Virus eindeutig auf. Und zugleich haben die schnellen und konsequenten politischen Entscheidungen dazu geführt, das von über 192.000 infizierten Menschen nur 8.948 verstorben sind (Stand 26. Juni 2020). An der Entwicklung der Pandemie in den USA und Großbritannien können wir sehen, welche Folgen auch hätten eintreten können. Daher weisen wir ihre Kritik an den politisch Handelnden und allen in Ministerien und Behörden arbeiteten Menschen deutlich zurück.

Ihre Kritik an den hohen Kosten der Maßnahmen ist unberechtigt, denn die erfolgreiche Eindämmung der Pandemie in Sachsen-Anhalt und der Erhalt vieler Menschenleben lässt sich nicht in Geld bemessen. Die Bewahrung von Menschen und damit die Wahrung der Menschenwürde gemäß Artikel 1 des Grundgesetzes können nicht als zu hohe Kosten verrechnet werden.

Sie fordern eine „Rückkehr“ zur Vernunftpolitik. Aus unserer Perspektive ist das nicht notwendig, da der Weg vernünftiger Politik, der zu allen Zeiten in Abstimmung mit Ärzten und Epidemiologen erfolgte, nicht verlassen wurde. Dass es in der Wissenschaft nicht nur die eine richtige Anschauung und Erkenntnis gibt und die richtigen Schritte auch öffentlich diskutiert werden, ist positiver Ausdruck der Freiheit der Forschung und einer offenen demokratischen Gesellschaft.

Sie behaupten, „wir“ (wer auch immer dieses wir ist) könnten uns nicht auf „die etablierte Politik“ verlassen. Unsere Erfahrung ist eine gegenteilige. Wir stehen in einem verlässlichen Austausch mit den politisch Verantwortlichen, erleben konstruktive Gespräche, die immer das Ziel des Bevölkerungsschutzes im Blick haben. Dabei geht es um die Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von Krankenhausbetten, insbesondere mit intensivmedizinischer Versorgung. Es geht um den Schutz von kranken und pflegebedürftigen Menschen und Menschen mit besonderen Gesundheitsrisiken. Wir halten es für normal, dass in einer gesellschaftlichen Ausnahmesituation nicht jede Maßnahme sofort optimal ausgestaltet wird. Im Rückblick können wir aber sagen, dass bei kritischen Hinweisen von uns sehr umsichtig und schnell reagiert wurde. So wurde durch Verlegung in dezentrale Wohnmöglichkeiten der Gesundheitsschutz von geflüchteten Menschen schnell hergestellt und eine Krisensituation entschärft. Dieses würdevolle Engagement des Landes für geflüchtete Menschen achten wir, denn es ist Ausdruck einer dem Grundgesetz entsprechenden weltoffenen, demokratischen und freiheitlichen Gesellschaft.

In der Pandemie sorgen die sozialen Einrichtungen und Dienste der Diakonie und der anderen Wohlfahrtsverbände gemeinsam mit vielen weiteren Trägern dafür, dass kranke Menschen medizinisch versorgt, alte und behinderte Menschen gepflegt und betreut, Kinder gebildet und Familien beraten und entlastet werden. Es war und ist eine besondere Leistung vieler Frauen und Männer in den verschiedenen sozialen Einrichtungen. Wir sollten diesen Einsatz sehr achten und würdigen.

Im Rückblick ist es immer einfach zu sagen, was der eine oder die andere zu einem früheren Zeitpunkt vielleicht hätte besser machen können. Es ist weder fair noch konstruktiv daraus grundsätzliches Fehlverhalten abzuleiten. Vorschläge und Maßnahmen der AfD-Faktion zum umfassenden Gesundheitsschutz und der Wahrung der Würde aller Menschen haben wir nicht wahrnehmen können.

Auch wir sehen, dass die Folgen der drastischen Maßnahmen für viele Menschen und Unternehmer sehr hart sind. Es ist der Preis, den unsere Gesellschaft gemeinsam trägt, weil viele Menschen vor einer lebensbedrohlichen Erkrankung und auch dem Sterben bewahrt wurden und auch zukünftig noch werden. Wir achten sehr, dass die politisch Verantwortlichen in Berlin, Magdeburg und den Landkreisen und Kommunen intensiv an einer Unterstützung vieler gesellschaftlicher Bereiche arbeiten, um die Folgen abzumildern. Es ist unredlich, die Sorgen und Nöte von Menschen und Unternehmen auszunutzen, um mit übertriebener Selbstdarstellung und einer Entsolidarisierung mit den Schwächsten politische Vorteile zu erreichen.

Wir können im Namen sehr vieler Diakonie-Mitarbeitenden sagen, dass wir froh sind, in einem Land zu leben, in dem Menschen unterschiedlicher Kultur und Sprache, Herkunft und Lebensvorstellung in Freiheit und gegenseitiger Achtung miteinander leben. Wir sind stolz auf alle Menschen, die ihren Beitrag zum Schutz des Lebens und der Überwindung der Krise leisten. Wir danken ausdrücklich allen Frauen und Männern, die sich in sozialen Einrichtungen und Diensten, in Schulen, Verwaltungen und Ministerien mit großer Kraft für unser Land und für die Menschen einsetzen.


Oberkirchenrat Christoph Stolte (Vorstandvorsitzender)

Halle, Juni 2020