Corona zum Trotz - Diakonie ist Begegnung!

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OKR Christoph Stolte
Vorstandsvorsitzender der Diakonie Mitteldeutschland

Merseburger Straße 44, 06110 Halle (Saale)
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(19. November 2020) Am 19. und 20. November findet die erste digitale Synodentagung der Evangelischen Landeskirche in Mitteldeutschland (EKM) statt. Coronabedingt kann das Treffen nur digital stattfinden. Corona – das ist auch das Thema, welches OKR Christoph Stolte in den letzten Wochen und Monaten sehr beschäftigt hat. Die Auswirkungen auf diakonische Arbeit, neue Erfahrungen und Herausforderungen, die gemeistert wurden oder noch zu meistern sind – das und mehr lesen Sie in seinem Bericht auf der 11. Tagung der II. Landessynode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. In diesem Blog ist ein Auszug daraus veröffentlicht.

Sehr geehrter Präses, liebe Schwestern und Brüder,
aus der Fülle an Themen, die uns in der Diakonie Mitteldeutschland beschäftigen, habe ich für den diesjährigen Bericht nur ein Thema ausgewählt. Es ist das Thema, das uns alle seit Monaten beschäftigt. Die Corona-Pandemie überlagert oder bestimmt fast alles, was wir gesellschaftlich, aber auch innerhalb der Kirche und ihrer Diakonie zu verhandeln haben.

Zudem wollte ich über die Strategie Diakonie Mitteldeutschland 2025 berichten, die wir im Verband seit Herbst 2019 gemeinsam erarbeitet haben. Aufgrund der Eindämmungsverordnungen mussten wir unsere Mitgliederversammlung zum einen auf ein digitales Format umstellen und zudem zur Form-und Fristwahrung zeitlich verschieben. Daher wird zum Zeitpunkt der Herbsttagung der Landessynode die Mitgliederversammlung der Diakonie Mitteldeutschland die Strategie 2025 noch nicht beschlossen haben. Mein Bericht erfolgt zu diesem Thema erst im kommenden Jahr.

Seit Jahresanfang erleben wir keine Nachrichtensendung ohne einen Bericht zum Thema Corona. Es begann mit der Verbreitung eines unbekannten Virus in China und führte uns über die Bewältigung der ersten Welle der Pandemie in Deutschland zu aktuell wieder steigenden Zahlen an infizierten und erkrankten Menschen. Immer steht die Frage: Wie gehen wir mit den Gefahren so um, dass die Würde des Menschen gewahrt bleibt? Und zur Würde gehört zugleich der Schutz des Lebens als auch soziale Teilhabe. […]

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„Wie gehen wir mit den Gefahren so um, dass die Würde des Menschen gewahrt bleibt? Und zur Würde gehört zugleich der Schutz des Lebens als auch soziale Teilhabe.“ – OKR Christoph Stolte (Foto: Diakonie Mitteldeutschland)

Corona-Nothilfe für Menschen in Armut – Spenden „Brot für die Welt“
Anfang April haben die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland, die Evangelische Landeskirche Anhalts und die Diakonie in Mitteldeutschland gemeinsam die Spendenaktion Corona-Hilfe für Menschen in Armut gestartet.

Wir haben in unserem Spendenaufruf deutlich gemacht, dass Menschen in Armut oft nicht die Möglichkeit haben, Vorräte anzulegen Das Kontaktverbot ist für eine Familie mit kleiner Wohnung schwerer umzusetzen als in einem Haus mit Garten. Und für Wohnungslose sind unsere Wärmestuben und Suppen-küchen die wichtigsten Orientierungspunkte. Diese Menschen brauchen die Hilfe unserer Tafeln und Wärmestuben.

„Kirche ist Kirche für andere und gerade den Armen und Ihrer Not muss unsere Hilfe in diesen Tagen gelten, da es für viele schnell existenzbedrohlich wird.", so Landesbischof Friedrich Kramer im gemeinsamen Spendenaufruf. „Wir können derzeit räumlich nicht zusammenkommen. Umso wichtiger ist es, dass wir in der Notlage gesellschaftlich zusammenrücken. Ihre Spende unterstützt die sozial-diakonische Arbeit für Bedürftige und hilft den Ärmsten in unserer Gesellschaft.“

Durch viele Einzelspenden, die Share Value Stiftung und die Spendenmarke „Thüringen hilft“ stehen 160.000 Euro zur Verfügung, die durch die Tafeln, Wärmestuben und Bahnhofsmissionen bei der Diakonie Mitteldeutschland abgerufen werden. Vielen Dank allen Spenderinnen und Spendern.

Es ist gute Tradition und entspricht unserem Auftrag in den Gottesdiensten am Heiligen Abend für Menschen in Not, konkret für „Brot für die Welt“ zu sammeln. Die Weihnachtskollekte ist sehr wichtig für die Arbeit von Brot für die Welt. Die Corona-Pandemie zwingt uns in 2020 die Weihnachtsgottesdienste anders zu gestalten. Daher befürchtet „Brot für die Welt“, dass es in diesem Jahr einen großen Spendeneinbruch geben wird. Ich bitte die Landessynode, sich öffentlich für die Spendensammlung „Brot für die Welt“ auch bei veränderten Weihnachtsgottesdiensten auszusprechen und die Kirchengemeinden eindringlich zu bitten, nicht für andere Zwecke zu sammeln, sondern die Kollektensammlung für „Brot für die Welt“ durchzuführen bzw. intensiv dafür zu werben.

Rettungsschirme, Informationsfluten und Schutzausrüstung
Die Bundesregierung hat sehr schnell am Beginn der Pandemie finanzielle „Rettungsschirme“ für die deutsche Wirtschaft aufgespannt. Die sozialen Einrichtungen waren dabei nur teilweise im Blick, so dass es einer intensiven Lobbyarbeit bedurfte, möglichst viele Leistungsfelder unter diese Schirme zu bringen. Sie sind auch nur teilweise wirklich hilfreich und passend für gemeinnützige Organisationen. Die Umsetzung erfolgte in den Ländern und in jedem Bundesland nach eigenen Regelungen. Die in der Umsetzung entstehenden vielen Detailfragen haben die Wirksamkeit zudem oftmals verzögert. Einrichtungen, die nicht mehr betreten werden durften (z.B. Kindertageseinrichtungen, Werkstätten für Menschen mit Behinderung, Beratungsstellen) haben durchgängig Notdienste geleistet und oftmals mit neuen Kommunikationsformen ihre Arbeit weitergeführt. In Sachsen-Anhalt wurde die Finanzierung weitgehend fortgesetzt, aber in Thüringen haben die Landkreise verschieden agiert. In der Folge musste teilweise Kurzarbeit beantragt werden. Die vielen verschiedenen Regelungen in den Bundesländern, Landkreisen und kreisfreien Städten haben die Weiterführung der Einrichtungen sehr erschwert. Verwaltungen waren teilweise überfordert und auf schnelle digitale Kommunikation nicht eingestellt. Die finanziellen Auswirkungen auf die gemeinnützigen Einrichtungen, die nur sehr begrenzt Rücklagen bilden dürfen, werden sich in vollem Umfang erst nach Abrechnung der Hilfsgelder und des Kurzarbeitergeldes zeigen.

Die Diakonie Mitteldeutschland hat mit dem E-Mail-Newsletter „schnell + aktuell“ die Mitgliedseinrichtungen verlässlich informiert. Die Fülle an täglich neuen relevanten Informationen wurde gesichtet, für die Träger von Einrichtungen aufbereitet und leicht erfassbar kommuniziert. Diese Art der Krisenkommunikation der Diakonie Mitteldeutschland hat sich bewährt. Es galt aber für die Geschäftsführenden, die täglich neuen Informationen zu verarbeiten und Regelungen in den eigenen Einrichtungen umzusetzen. Von den diakonischen Einrichtungen und auch den Kirchengemeinden, die eine Kindertageseinrichtung betreiben, war daher ein schnelles Management gefordert. Träger von Einrichtungen und Kirchengemeinden, die dieses nicht leisten können, haben sich als deutlich weniger krisenfest herausgestellt. Es ist klar erkennbar, dass wir zukünftig in der Diakonie Mitteldeutschland handlungssichere Managementstrukturen benötigen, um besonderen Herausforderungen gewachsen zu sein.

Insbesondere zu Beginn der Pandemie war die Versorgung der Einrichtungen mit persönlicher Schutzausrüstung und Hygienematerialien mangelhaft. Die Lieferketten brachen zusammen. Es wurde deutlich, dass der jahrelange finanzielle Druck, diese Materialien so billig wie möglich einzukaufen, zu einer totalen Abhängigkeit vom Welthandel, insbesondere von China, geführt hat. Pandemielager sind in Einrichtungen nicht vorgesehen und werden auch nicht finanziert. Die Bundesregierung, die Landesregierungen, die Diakonie Deutschland und unsere Mitgliedseinrichtungen haben sich intensiv um Lieferungen bemüht. Daraufhin wurde vom Bund und von den Ländern bis Ende Juni sehr viel Material, in unterschiedlicher Qualität und Nutzbarkeit, geliefert. In Thüringen erfolgte die Auslieferung über ein zentrales Lager der Wohlfahrtsverbände beim DRK Landesverband Thüringen und über ein Zwischenlager der Diakonie Mitteldeutschland in den Christophorus-Werkstätten in Erfurt. In Sachsen-Anhalt erfolgte die Verteilung mittels der Bundeswehr an die örtlichen Gesundheitsämter. Nach örtlich verschiedenen Kriterien wurden die Materialien an die Einrichtungen ausgegeben. Wie diese Lieferungen den Trägern der Einrichtungen in Rechnung gestellt werden, ist weiterhin ungeklärt. Innerhalb der Diakonie Mitteldeutschland gab es vielfältige Unterstützung der Träger untereinander und eine gute Zusammenarbeit mit der uns in der Geschäftsstelle. Auch wenn die Versorgung in der Regel wieder funktioniert, sind bis heute viele nicht zugelassene Schutzmasken auf dem Markt, deren Wirksamkeit ungeklärt ist. Thüringen hat zudem ein zentrales Pandemielager neu aufgebaut. Wir kommunizieren intensiv, dass zukünftig möglich sein muss in den Verhandlungen eine ausreichende Bevorratung mit Schutzmaterialien und Hygieneprodukten zu sichern.

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OKR Christoph Stolte trägt den Bericht der Diakonie Mitteldeutschland auf der 11. Tagung der Landessynode vor. Dieses Foto stammt aus dem Jahr 2018. Coronabedingt findet die Synodentagung dieses Jahr nur digital statt. (Foto: Diakonie Mitteldeutschland)

Mitarbeitende in der Diakonie
Wir sind dankbar, dass es nur in wenigen Einrichtungen in der Diakonie Mitteldeutschland zu Corona-Ausbrüchen gekommen ist. In Pflegeeinrichtungen sind in solchen Fällen Bewohnerinnen und Bewohner mit einer Corona-Infektion schnell verstorben. Bei allen Mitarbeitenden, insbesondere bei denen, die in durch Corona besonders gefährdeten Einrichtungen arbeiten, gibt es seit Ausbruch der Pandemie erhöhte psychische und physische Belastungen. Mitarbeitende tragen Ängste und Verunsicherungen für sich, die Bewohner und die eigene Familie in sich. Die Sorge, sich oder einen anderen Menschen anzustecken, ist ständig präsent.

Am Anfang war das dadurch gegeben, dass für einen möglichen Ausbruch von Infizierungen in einer Einrichtung teilweise nicht ausreichend Schutzkleidung und Desinfektionsmittel bereitstanden. Die strikte Anwendung von Schutzmaßnahmen (z.B. häufiger Wechsel der Schutzkleidung, Arbeit mit Mund-Nasen-Schutz, getrennte Speiseeinnahme der Bewohner, Isolationsmaßnahme u. ä.) bedeuten für die Mitarbeitenden eine erhöhte persönliche Verantwortung und Belastung. Durch die Besuchsverbote von Angehörigen entfiel deren Hilfe in der Alltagsbetreuung von Bewohnerinnen und Bewohnern. Das Besuchsmanagement nach strikten Regeln brachte insbesondere für das Personal in der Alltagsbegleitung und Betreuung einen großen zusätzlichen Aufwand mit sich. Immer wieder musste mit Unverständnis und Protest der Angehörigen umgegangen werden. Wenn Mitarbeitende der Teams selber arbeitsunfähig wurden, musste mit Mitarbeitenden andere Einrichtungen ausgeholfen werden, was immer ein besonderer Aufwand an Einarbeitung und Begleitung durch das Stammpersonal einer Einrichtung bedeutet.

Die Mitarbeitenden gerieten oftmals an die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit. Aber der Umgang mit einem strengen Hygieneregime ist für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen vertraut und geübter Bestandteil der Pflegequalität. Zugleich ist eine große Solidarität der Mitarbeitenden untereinander festzustellen. Die innere Motivation und Verantwortungsübernahme eines Großteils der Mitarbeitenden für ihren Dienst und die Bewohnerinnen und Bewohner ist sehr zu achten und zeigt deren individuelle diakonische Haltung. Auch wenn viele Mitarbeitende keiner Kirche angehören, prägt sie ein hoher innerer Qualitätsanspruch für ihren Dienst, Sorge für Bewohnerinnen und Bewohner bzw. Patientinnen und Patienten und eine hohe intrinsische Motivation für den diakonischen Dienst. Das zeigt sich in einer solchen Krisensituation in besonderem Maße.

Der Pfingstbrief des Bischofskonventes der EKM und der Leitenden Geistlichen der Evangelischen Landeskirche Anhalts haben Wertschätzung und den Dank gegenüber den Mitarbeitenden in der Diakonie deutlich zum Ausdruck gebracht.

Die durch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Mai versprochene Prämie für Pflegekräfte in der Altenpflege hat nicht nur eine heftige Diskussion in Bezug auf die ungelöste Frage der Finanzierung ausgelöst, sondern zugleich ein schmerzhaftes Gerechtigkeitsproblem auf die Tagesordnung gesetzt. Mitarbeitende der Kinder- und Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe erhalten keine Prämie. Einige Mitarbeitende in Krankenhäusern sollen eine Prämie erhalten. Zudem sind die Prämien je nach Berufsgruppe in einer Einrichtung gestaffelt. Eine Reinigungskraft, der eine hohe Verantwortung in der Pandemie obliegt, erhält eine geringere Prämie im Vergleich zu einer Pflegekraft. Wir haben als Diakonie dieses politisch immer wieder kritisiert. Ein Umdenken ist nicht zu erkennen.

Für die Zukunft gilt es nun, die Mitarbeitenden sozialer Dienste nicht nur als systemrelevant zu bezeichnen, sondern die hinlänglich bekannten problematischen Rahmenbedingungen dieses Dienstes nachhaltig positiv zu verändern. Wenn deutlich mehr Personal ausgebildet und durch eine höhere Berufszufriedenheit im Beruf gehalten werden soll, ist wesentlich mehr Geld im System erforderlich. Diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe können die Landeskirchen und die Diakonie immer wieder öffentlich einfordern. Die dafür möglichen Lösungswege sind den politisch Verantwortlichen bekannt aber die notwendigen Entscheidungen werden seit Jahren mittels kleiner aber laut vorgetragener „Reförmchen“ vertagt. Zudem werden immer mehr Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen in die Sozialhilfe gedrängt, weil die notwendigen Eigenleistungen die Renten übersteigen. Die Anfang Oktober vom Bundesgesundheitsminister angekündigte Deckelung der Eigenbeiträge bleibt hinter dem grundlegenden Umbau der Pflegeversicherung, den die Diakonie fordert, weit zurück.

Es ist auch darauf zu verweisen, dass in der Corona-Krise Beratungs- und Betreuungsdienste mit einer großen Kreativität, Kinder, Jugendliche, Familien, Menschen mit Behinderung, suchterkrankte Menschen etc. weiter betreut haben. Telefonisch oder digital, bei Spaziergängen und Gesprächen „über den Gartenzaun“ wurden Begegnung, Begleitung und Beratung ermöglicht. Die vielen ambulanten Pflegedienste haben in hoher Kontinuität die Menschen in ihrem Zuhause versorgt. In Wohneinrichtungen für Kinder, Jugendliche und Menschen mit Behinderung wurde mit großem Einsatz eine ganztägige Betreuung ermöglicht. Diese war aufgrund einer weitgehenden Schließung der Kindertageseinrichtungen und Schulen bzw. wegen des Betretungsverbotes der Werkstätten für Menschen mit Behinderung notwendig. In Kindertageseinrichtungen und Werkstätten für Menschen mit Behinderung wurde durchgängig eine Betreuung für besondere Personengruppen angeboten.

Ein besonderer Dank gilt den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den diakonischen Einrichtungen und ebenso den Führungskräften und Geschäftsführenden für Ihren großen Einsatz für die Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind. Dankbar bin ich ebenso den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Geschäftsstelle der Diakonie Mitteldeutschland für einen durchweg sehr flexiblen und engagierten Einsatz. Die Einrichtungen unserer Mitglieder und die Geschäftsstelle der Diakonie Mitteldeutschland sind zu einem großen Teil krisenfest, wie wir eindrücklich sehen können. Und zwar deshalb, weil so viele Frauen und Männer mit großem Einsatz sehr verantwortungsvoll ihren Dienst ausgeübt haben und dies weiterhin tun. Durch die erneuten erheblichen Einschränkungen im November 2020 kommt es auch zu einer besonderen Kraftanstrengung für aller Frauen und Männer in der Diakonie. Damit müssen wir sehr sensibel und ermutigend umgehen.

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Die erste rein digitale Synodentagung findet vom 19. Bis 20. November statt. Vorstandsvorsitzender der Diakonie Mitteldeutschland, Oberkirchenrat Christoph Stolte, nimmt von seinem Büro in Halle aus daran teil. (Foto: Diakonie Mitteldeutschland)

Diakonie ist Begegnung
Diakonisches Handeln ist Begegnung, ist Gespräch und Teilhabe an Gemeinschaft. Doch Gemeinschaft ist seit Mitte März nur eingeschränkt möglich. Menschen in besonderen Lebenslagen haben darunter sehr gelitten. Sie mussten viel Kraft aufbringen, um die Tage zu bewältigen. Menschen, die für ihre Lebensstabilität auf beständige Abläufe, tragfähige Begegnungen und Gespräche angewiesen sind, waren besonders betroffen. Der Alkoholkonsum in Deutschland ist erkennbar gestiegen und die Anzahl der Menschen, die eine klinische Suchttherapie beantragen, ebenso.

Digitale Technik kann Kommunikation unterstützen, aber zwischenmenschliche Begegnung nicht ersetzen. Schülerinnen und Schüler aus Förderschulen lernen in der zwischenmenschlichen Interaktion. Schülerinnen und Schüler ohne Bezugspersonen, die ihnen beim „homeschooling“ hilfreich an der Seite stehen oder nur teilweise digitale Endgeräte zur Verfügung hatten, haben unter dem Verlust an persönlicher Begegnung und fehlendem Lernen mit Lehrerinnen und Lehrern besonders gelitten und waren von Lernfortschritten oftmals abgehängt.

Krankenhäuser und Wohn- und Pflegeeinrichtungen haben die Aufgabe, die Menschen vor einer möglichen Ansteckung mit dem Corona-Virus zu schützen. Zugleich sollen sie soziale Teilhabe durch Begegnung mit Familienangehörigen und Besuchern ermöglichen. Am Beginn der Pandemie wurde zur Herstellung des Infektionsschutzes durch strikte Besuchsverbote sehr weitgehend in individuelle Freiheitsrechte eingegriffen. Familien wurden schmerzhaft getrennt und besonders alte Menschen haben unter Einsamkeit gelitten. In einer zweiten Phase wurden neue Modelle der Begegnung entwickelt, die sehr verschiedenen akzeptiert wurden.

Seelsorgerinnen und Seelsorgern in Krankenhäusern, die zum Personal der Einrichtung gehören, hatten immer Zugang zu den Menschen. Dagegen waren Besuche von Pfarrerinnen und Pfarrern in Pflegeeinrichtungen teilweise untersagt bzw. wurden aus verschiedenen Gründen nicht durchgeführt. Teilweise waren auch Einrichtungsleitungen vorsichtig, da diese den Infektionsschutz sicherstellen müssen und dafür haften. Zudem fehlte es zu Beginn der Krise an der notwendigen Schutzkleidung.

Das Narrativ, die Menschen seien aber von der Kirche im Stich gelassen worden und einsam verstorben, können wir in der Diakonie Mitteldeutschland nicht bestätigen. Auf Bitten von Bewohnerinnen und Bewohnern und auch in der Sterbebegleitung wurden Seelsorgende benachrichtigt und haben die Menschen begleitet. In der Krise ist aber auch sichtbar geworden, wie lebensbedrohlich für alte Menschen eine Erkrankung mit Covid-19 ist und wie oftmals auch in „normalen“ Zeiten Menschen allein in Pflegeeinrichtungen versterben. Der ethische Konflikt um die Wahrung der Würde des einzelnen Menschen im Spannungsfeld zwischen Infektionsschutz und sozialer Teilhabe ist nicht einfach aufzulösen. Je nach eigenem Standpunkt werden Regelungen bejaht oder kritisiert. Es bleibt die Herausforderung, situationsgemäß einrichtungsindividuelle verantwortbare Wege zu finden. Großer Dank gilt den Verantwortlichen und Mitarbeitenden in den Wohneinrichtungen, die mit großem Einsatz Menschen beigestanden haben und mit Kreativität viele menschliche Begegnungen ermöglicht haben. Großer Dank gilt allen, die durch Musik im Garten, Bilder, Leseandachten, Blumen und Vielem mehr Zeichen der Verbundenheit gesendet haben.

Wir müssen uns in der Landeskirche und der Diakonie Mitteldeutschland überlegen, wie wir gemeinsam soziale Teilhabe und Seelsorge bei Wahrung des Schutzes des Lebens des Einzelnen in Krankenhäusern bzw. Wohn- und Pflegeeinrichtungen insbesondere in Krisenzeiten sicherstellen können. Als sehr bedeutsam hat sich herausgestellt, ob vor der Pandemie tragfähige Kommunikationsbeziehungen zwischen den diakonischen Einrichtungen und der Kirchengemeinde vor Ort bzw. dem Kirchenkreis erarbeitet wurden. Teilweise hätten sich diakonische Einrichtungen in der Corona-Krise eine stärkere Kontaktaufnahme und Begleitung durch die Kirchengemeinde und den Kirchenkreis gewünscht.

Die neuen Verordnungen der Länder Thüringen und Sachsen-Anhalt für den November 2020 greifen nicht in das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen ein. Der Zutritt für Seelsorgende in Krankenhäuser, Pflege- und Behinderteneinrichtungen ist ausdrücklich von allen Einschränkungen ausgenommen.


Oberkirchenrat Christoph Stolte,
Vorstandsvorsitzender der Diakonie Mitteldeutschland


Hintergrund: Die Landessynode der EKM ist ein Gremium, welches die Vielfalt der Gemeinden, Kirchenkreise, Dienste, Einrichtungen und Werke im Bereich der Landeskirche widerspiegelt. Ihr gehören 80 gewählte und berufene Mitglieder an, sowie Mitglieder, die ihr von Amts wegen angehören. Zu diesen gehört OKR Christoph Stolte als Vorsitzender der Diakonie Mitteldeutschland. Die EKM-Synode trifft sich üblicherweise zweimal im Jahr zur öffentlichen Sitzung. Die 11. Tagung der II. Landessynode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland vom 19. bis 20. November 2020 findet erstmals digital statt und nicht im Landeskirchenamt in Erfurt. Den vollständigen Bericht der Diakonie Mitteldeutschland und alle anderen Unterlagen der Synode finden Sie auf der Webseite der EKM.