Rettung in finanzieller Not - Die Schuldner- und Insolvenzberatung in Naumburg

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Steffen Mikolajczyk
Referent Grundsatzfragen Sozialpolitik/ Sozialplanung

Diakonie Mitteldeutschland
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(13. Juni 2023) Schulden bei der Krankenkasse, hohe Kredite, Trennung, Krankheit, steigende Energiekosten oder plötzliche Arbeitslosigkeit – es kann viele Gründe geben, die Menschen schleichend oder ganz plötzlich in eine finanzielle Notlage bringen. Oft liegt sogar mehr als ein Grund vor. Können die Schulden nicht beglichen werden, dann klopft schnell der Gerichtsvollzieher an der Tür. In dieser Situation ist gute Beratung und Hilfe Gold wert. Karin Meyenberg berät seit fast 15 Jahren in der Beratungsstelle der Diakonie Naumburg-Zeitz Menschen in Not. Wir sprachen mit ihr über aktuelle Herausforderungen, Trends und Ursachen für Überschuldungen.

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Karin Meyenberg berät seit fast 15 Jahren Menschen aus Naumburg und Umgebung, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. (Foto: Diakonie Naumburg-Zeitz)

Wenn der Livestyle zum Problem wird – Verschuldungsrisiken bei jungen Menschen

Man sieht sie in den sozialen Medien: Erfolgreiche junge Menschen auf Reisen, in schöner Markenkleidung, mit teuren Autos, auf groß angelegten Partys oder zum Entspannen im Wellness-Hotel. Ein Livestyle, von dem viele junge Menschen sich angezogen fühlen – und der deutlich über ihren Verhältnissen liegt. Wie verlockend ist es da, einen Kredit aufzunehmen oder den Dispo zu überziehen. Wer dann den Überblick über Verbindlichkeiten und offene Forderungen verliert, dem droht die Schuldenspirale. Und das, obwohl viele dieser jungen Menschen gut ausgebildet sind und ihr eigenes Geld verdienen. Woran liegt das?

„Es gelingt manchen jungen Leuten nicht, sich abzugrenzen. Sie sollten sich vor der Anschaffung die Frage stellen: Wozu brauche ich das denn überhaupt?“, beschreibt Karin Meyenberg das Problem. Durch einen angestrebten Livestyle geraten junge Erwachsene in Konsumschulden und zeigen dabei sogar manchmal ähnliche Verhaltensmuster, wie süchtige Menschen: Der Konsum dient der Befriedigung eines starken inneren Bedürfnisses und lässt die Probleme vergessen. Verstärkend hinzu kommt, dass viele junge Menschen nie den richtigen Umgang mit Geld gelernt haben. Sie wissen nichts vom Haushalten, von Rückenlagenbildung und Kreditwesen, von Dispoproblemen und Sparplänen.

Das Bildungssystem zeigt hier eine deutliche Schwachstelle. In wirtschaftlich orientierten Schulfächern lernen junge Menschen zwar, wie eine Volkswirtschaft oder die Führung eines Betriebes funktioniert – einen eigenen Haushaltsplan aufzustellen, lernt man in der Schule jedoch nicht. Eine Lücke, die die Schuldner- und Insolvenzberatung immer wieder zu schließen versucht – wenn es schon zu spät ist.

So berichtet Karin Meyenberg von einem Beitrag in der Zeitung einer Abschlussklasse, in dem man lesen kann: „Was ich hier in der Schule nicht gelernt habe? Wie man eine Steuerklärung macht.“ Die Wissenslücke ist bei Jugendlichen oft eklatant, kann sich durch das Leben ziehen und unter Umständen sogar in Altersarmut niederschlagen, denn Altersvorsorge ist für manche Jugendliche leider ein Fremdwort und auch die Lebensmodelle ändern sich. Die Bindung an einen Arbeitgeber über 40 Jahre hinweg gibt es nicht mehr, geschlossene Erwerbsbiographien werden seltener. „Das sehe ich bei einigen Klienten auch nicht“, berichtet Meyenberg, „Da ist keine Lebensversicherung da, keine vernünftige Rentenversicherung.“ Ist die Verschuldung nur ein Problem junger Menschen? Nein, der Trend in dieser Altersgruppe nimmt zwar zu, aber Schuldenprobleme ziehen sich quer durch die Gesellschaft und haben unterschiedliche Gründe.

Energiekrise und Testamentsfallen – Verschuldung bei Menschen mittleren Alters und bei Seniorinnen und Senioren

Zunehmend suchen auch viele Menschen in der Lebensmitte oder nach dem Ende ihrer Erwerbszeit eine Schuldnerberatungsstelle auf. Sie haben sich in der Regel etwas aufgebaut, verdienen oder verdienten gut und gehören zur Mittelschicht – dennoch reicht es finanziell oft nicht, wie Karin Meyenberg an einem Fallbeispiel beschreibt:
Ein Rentner-Ehepaar mit Einfamilienhaus und einer Eigentumswohnung gerät in finanzielle Not. Das Einfamilienhaus benötigt ein neues Dach, die ländliche Region macht ein Auto erforderlich. Für Beides nimmt das Paar einen Kredit auf. Die Eigentumswohnung soll vermietet werden, steht aber leider leer. Ein zusätzliches Einkommen zur Deckung der Kredite fehlt somit. Erschwerend kommt hinzu, dass die Ölheizung im Haus des Ehepaares bereits 29 Jahre alt ist und bald ausgetauscht werden muss. Aufgrund der bestehenden Kredite und des hohen Alters des Paares bekommen sie dafür aber von keiner Bank einen weiteren Kredit gewährt.

Das Beispiel zeigt deutlich, wie schwierig die finanzielle Situation auch in vermeintlich gut situierten Haushalten sein kann. Wie diesem Ehepaar kann es Menschen gehen, die in einem eigenen Haus im ländlichen Raum wohnen. Sie können steigende Energiekosten kaum bezahlen, geschweige denn energetische Sanierungen. Sie blicken mit Enttäuschung und Frust auf politisch Verantwortliche. „Die Menschen haben sich etwas geschaffen und konnten Verbindlichkeiten bisher bedienen. Was jetzt droht, ist der Wohlstandsverlust. Sie fühlen sich betrogen um ihre Lebensleistung.“, beschreibt Karin Meyenberg die Stimmung der Menschen, die sich hilfesuchend an die Beratungsstelle wenden.

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Ermutigung ist ein wichtiges Stichwort. Karin Meyenberg hilft Klientinnen und Klienten dabei, Vertrauen und Zuversicht für die Zukunft zu fassen. (Foto: Diakonie Mitteldeutschland)

Ein weiteres Problem: Viele ältere Menschen in Sachsen-Anhalt und Thüringen haben geringe Einkommen oder Renten. Einige haben unterbrochene Erwerbsbiografien und nach der Wende nicht anerkannte Abschlüsse. Auch mehr als 30 Jahre nach der Deutschen Einheit warten viele Menschen noch auf finanziellen Ausgleich, den sie dringend benötigen. Jüngst waren besonders die Rentenansprüche von Bediensteten der Bahn und Post in der DDR ein Thema. Das sind ostspezifische Faktoren, die in eine Altersarmut führen können.

Erschwerend kommt hinzu, dass statt Vermögenswerten in ostdeutschen Bundesländern eher Schulden weitervererbt werden. So werden neben Großmutters Häuschen manchmal auch ihre offenen Arztrechnungen oder andere Verbindlichkeiten geerbt. „Viele Ratsuchende wissen gar nicht, was genau das Erbe ist und dass es die Rechtsnachfolge des Verstorbenen ist.“ So tragen viele Menschen neben den Erbstücken auch die Kreditschulden geliebter Verwandter mit nach Hause.

Drogen, Arbeitslosigkeit, Glücksspiel, Krankheit – vielfältige Probleme benötigen multiprofessionelle Teams

Besonders gravierend wird es, wenn in der Schuldner- und Insolvenzberatung verschiedene Problemlagen und Beratungsbedarfe aufeinandertreffen und die Situation verschlimmern. Wie das aussehen kann, schildert Karin Meyenberg an einem weiteren Fallbeispiel:
Eine junge Frau, circa 30 Jahre alt, kommt in die Beratungsstelle. Sie geriet in eine Drogenabhängigkeit, die sie nicht nur den Job, sondern auch den Führerschein kostete. Trotz fehlenden Führerscheins fuhr sie weiter Auto – und verursachte einen Unfall. Um die Drogensucht zu finanzieren, begann sie auf falschen Namen Verträge abzuschließen und Konsumgüter zu kaufen, die sie mit Gewinn weiterverkaufte. Zur Beschaffungskriminalität kam die Obdachlosigkeit dazu, als die junge Frau ihren Partner verließ, auf den der Mietvertrag lief. Dieser komplexe Fall, wie ihn das Leben schreibt, begegnete Karin Meyenberg, als die Frau Anfang April 2020 mit ihrer Mutter in Begleitung und dicken Ordnern unter dem Arm in der Beratungsstelle Hilfe suchte. Die ersten Beratungen waren in der Pandemie nur telefonisch möglich und sehr schwierig.

Wie genau die Beratungsstelle hilft, ist an diesem Beispiel gut erklärbar: Zunächst wird eine Einnahmen-Ausgaben-Liste und eine Liste der Gläubiger von der jungen Frau erstellt, damit die Beratungsstelle eine Arbeitsgrundlage hat. Dann werden die Probleme Schritt für Schritt angegangen. Ganz wichtig ist am Anfang der Vertrauensaufbau zwischen Beraterin und Klient oder Klientin.

Das Angebot der Diakonie Naumburg-Zeitz wird von vielen Betroffenen dankend angenommen: „Es ist gesellschaftsfähig geworden. Wenn ich mein Problem nicht lösen kann, muss ich mir Hilfe holen. Diakonie – weil da geholfen wird.“

Im Falle der jungen Frau hat das gut funktioniert: Zunächst wurden Ratenzahlungen an die Staatsanwaltschaft und die Krankenkasse vereinbart, sie hat Hilfe bei der Bekämpfung ihrer Sucht angenommen und ihren Führerschein zurück. Inzwischen hat die junge Frau auch wieder einen Job und ein geregeltes Einkommen, das ihr bei der Schuldentilgung hilft. „Sie hat hart geackert und ich habe ihr immer gesagt: Das Insolvenzverfahren ist der letzte Schritt. Das sind Klienten, vor denen ich wirklich große Achtung habe.“, freut sich Karin Meyenberg sichtlich über den Erfolg der Beratung.

Ohne ein gutes multiprofessionelles Team oder eine beratungsstellenübergreifende Zusammenarbeit wäre das gar nicht möglich. Im Gesundheitszentrum in Naumburg befinden sich direkt neben der Schuldner- und Insolvenzberatung auch eine Suchtberatungs- und eine Schwangerschafts- und Familienberatungsstelle. Das große Ziel: Menschen nicht nur mit ihren Schulden zu helfen, sondern sie zurück in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Sie ermutigen, ermächtigen und unterstützen, um zurück auf einen selbstständigen und besseren Lebensweg zu kommen.

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Drogensucht, Alkoholmissbrauch, Spielsucht – eine Suchtberatungsstelle ist gleich auf der anderen Seite des Flures. Die mulitprofessionelle Zusammenarbeit der Beratungen ist eine große Hilfe für Betroffene. (Foto: Diakonie Mitteldeutschland)

Doch gerade bei Suchterkrankungen oder psychischen Problemen ist dieser Weg oft steinig und schwer. Neben Alkohol- oder Drogensucht ist es manchmal auch Spielsucht, die Menschen in finanzielle Schwierigkeiten bringt. Darunter leiden neben den Betroffenen auch die Familien. So berichtet Karin Meyenberg von einem jungen Mann, der das Haushaltsgeld der Familie verspielte. Nach einem traumatischen Erlebnis fand er im Glücksspiel Ausgleich und Frieden. „Die Sucht ist nur ein Symptom“, beschreibt Karin Meyenberg die schwierige Situation.

Oft sind es psychische Probleme, die sich über kurz oder lang auch in finanziellen Problemen äußern. „Depressionen, Suchterkrankungen, psychotische Erkrankungen, multiple Persönlichkeitsstörungen – das begegnet mir eben auch.“ An diesen Stellen werden Fälle komplex. Eine gute Beratung durch das multiprofessionelle Team ist ohne Kontakt zu Kliniken und behandelnden Ärzten und ganz besonders zur Familie, Betreuern und ehrenamtlichen Helferinnen gar nicht denkbar.

Finanzierungsstrukturen und Ressourcen – Beratungsarbeit am Limit

Komplexe Fälle lassen sich nicht am Schreibtisch vorausplanen. „Ich komme früh hierher und weiß nicht, was mich erwartet“, beschreibt Karin Meyenberg den unberechenbaren Beratungsalltag trotz straffer Organisation. 45 bis 50 Menschen berät sie jeden Monat. Die Dauer und Komplexität ist sehr unterschiedlich. Die Finanzierungsstruktur dieser wichtigen Arbeit ist auch kompliziert. Feste Fallpauschalen lassen keine Spielräume und unterschiedliche Zuständigkeiten erschweren die Sache zusätzlich.

So ist die Finanzierung der sozialen Schuldnerberatung Aufgabe des Burgenlandkreises. Zeichnet sich in der Beratung jedoch ab, dass die Schuldnerin oder der Schuldner in einem Insolvenzverfahren landet, wird die Beratungsleistung vom Land Sachsen-Anhalt bezahlt. Diese Trennung ist in der Beratungspraxis kaum aufrecht zu erhalten und hat auch die Diakonie Naumburg-Zeitz zur Erstellung eines integrierten Gesamtkonzeptes veranlasst, das glücklicherweise eine Zustimmung im zuständigen Burgenlandkreis fand. Damit ist die Beratungsstelle aber ein Sonderfall. Viele Beratungsstellen haben mit Refinanzierungslücken und Unterfinanzierung zu kämpfen. Die Personalstellen für diese wichtige Arbeit sind deutlich zu gering bemessen. Ein Umstand, den politisch Verantwortliche dringend stärker in den Fokus nehmen müssen, da die Beratungsangebote entscheidend zum sozialen Frieden in der Region beitragen. Die Beratungsstellen werden von Menschen quer durch alle gesellschaftlichen Schichten in Anspruch genommen. Steigende Lebensmittelpreise und Energiekosten, eine hohe Armutsquote und Defizite in der finanziellen Bildung der Menschen – die Probleme verlangen neben dem helfenden Einsatz in den sozialen Beratungsstellen immer mehr nach politischen Lösungen, die ohne Gesetzgebungsänderung und angepasste Regelungen in Bund und Ländern wohl nicht zu haben sind.


Hintergrund: Die Beratungsstelle, betrieben von der Diakonie Naumburg-Zeitz gGmbH, führt sowohl soziale Schuldnerberatungen als auch Verbraucherinsolvenzberatungen durch. Eingebettet ist die Beratungsstelle in das integrierte psychosoziale Beratungssystem des Burgenlandkreises. Mit der Beraterin Karin Meyenberg sprachen Steffen Mikolajczyk (Referent Grundsatzfragen, Sozialpolitik und Sozialplanung) und Tristan Emanuel Fürstenau (Redakteur für Online-Kommunikation). Weitere Informationen zur Beratungsstelle in Naumburg finden Sie hier.