Verstehen und Verstanden werden - Teilhabe am Leben der Gemeinschaft

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OKR Christoph Stolte
Vorstandsvorsitzender der Diakonie Mitteldeutschland

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(24. November 2017) Oberkirchenrat Christoph Stolte, Vorstandsvorsitzender Diakonie Mitteldeutschland,
Bericht des Diakonischen Werkes,
6. Tagung der II. Landessynode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland

Verstehen und Verstanden werden – Teilhabe am Leben der Gemeinschaft
„Denn verstehen und verstanden werden – das will jeder, und das braucht jeder, um sein Leben selbstbewusst zu führen. Verstehen und verstanden werden – das ist Heimat“, so Bundespräsident Steinmeier in seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit 2017.

Liebe Schwestern und Brüder,
auf der Website der EKM heißt es: „Jeder Mensch ist ein einzigartiges Bild Gottes. Deshalb gehört die gleichberechtigte Teilhabe an der Vielfalt des Lebens in den Diensten, Einrichtungen und Gemeinden in Mitteldeutschland dazu. Es ist normal, verschieden zu sein.“

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Bericht des Diakonisches Werkes auf der 6. Tagung der II. Landessynode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. (Foto: Frieder Weigmann)

Zusammenleben von Menschen in ihrer Vielfalt der Kinder Gottes, mit den verschiedenen Lebensentwürfen und Kulturen, mit und ohne Religion, mit und ohne Unterstützungsbedarf, als Kindergartenkind oder pflegebedürftiger Mensch, das ist weder ein Selbstläufer noch eine Selbstverständlichkeit, sondern eine aktiv zu gestaltende gesellschaftliche Herausforderung. Und die wird besonders erschwert durch alle, die den einen Menschen Angst vor den anderen machen. Wir haben einen Bundestagswahlkampf erlebt, der weniger durch Ideen auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft, sondern eher durch instrumentalisieren und verstärken von Ängsten geprägt war. Daher ist das Ergebnis so, wie es ist und fordert unsere aktive ver-antwortungsvolle gesellschaftliche Mitgestaltung als Christen, als Kirche und Diakonie.

Ich zitiere noch einmal aus der Rede des Bundespräsidenten:
„Ich bin überzeugt, wer sich nach Heimat sehnt, der ist nicht von gestern. Im Gegenteil: je schneller die Welt sich um uns dreht, desto größer wird die Sehnsucht nach Heimat. Dorthin, wo ich mich auskenne, wo ich Orientierung habe und mich auf mein eigenes Urteil verlassen kann. Das ist im Strom der Veränderungen für viele schwerer geworden. (…)

Ich glaube, Heimat weist in die Zukunft, nicht in die Vergangenheit. Heimat ist der Ort, den wir als Gesellschaft erst schaffen. Heimat ist der Ort, an dem das "Wir" Bedeutung bekommt. So ein Ort, der uns verbindet – über die Mauern unserer Lebenswelten hinweg –, den braucht ein demokratisches Gemeinwesen und den braucht auch Deutschland.“

Für viele Menschen sind unsere Kirchgemeinden und diakonischen Einrichtungen Heimat. Es sind vertraute Orte, an denen sich Menschen wahr- und angenommen fühlen. Es sind Orte, an denen die Zusage Jesu präsent zu sein, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, für den einzelnen spürbar wird.

Dieser Bericht wirft unter bestimmten Perspektiven einen Blick darauf, wie Menschen am Leben in der Gemeinschaft teilhaben oder eben auch nicht teilhaben, ob sie sich heimisch oder ausgeschlossen erleben. Und es ist damit zugleich auch ein Blick auf die großen „Baustellen“, auf denen wir derzeit in der Diakonie Mitteldeutschland aufgrund der umfassenden Gesetzesveränderungen arbeiten.

1. Armut in Kindheit und Jugend
Im Oktober 2017 wurde unter dem Titel „Armutsmuster in Kindheit und Jugend“ ein Zwischenbericht zum Forschungsprojekt „Lebensumstände von Kindern im unteren Einkommensbereich (LeKiE)“ des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um eine Längsschnittbetrachtung von Kinderarmut aus den Jahren 2006 bis 2015. Aus dieser Datenlage wurde die Armutslage im Haushalt von insgesamt 3.180 Kindern (unter 15 Jahren) im Zeitverlauf über jeweils fünf zusammenhängende Befragungszeitpunkte (fünf Jahren) analysiert.

Aus der Verknüpfung von Einkommen, Einkommensarmutsgefährdung und SGB-II-Leistungsbezug wurden fünf Einkommenslagen abgeleitet, die sich im Jahr 2015 im Querschnitt wie folgt darstellen:

(1) Abgesicherte Lage = 65,7 Prozent
(2) Zwischenlage = 11,6 Prozent
(3) Einkommensarmut (ohne SGB-II-Bezug) = 8 Prozent
(4) SGB-II-Leistungsbezug (ohne Einkommensarmut) = 5,3 Prozent
(5) Einkommensarmut und SGB-II-Bezug = 9,5 Prozent

Das bedeutet, dass im Jahr 2015 rund drei Viertel der Kinder und Jugendlichen ohne Armutserfahrung leben und im Umkehrschluss, dass rund ein Viertel aller Kinder und Jugendlichen in einer nicht gesicherten Einkommenssituation aufwächst.

Der Längsschnitt zeigt, das 58 Prozent der betrachteten Kinder zu allen Zeitpunkten in einer gesicherten Einkommenslage lebten. 13 Prozent der Kinder wachsen zu allen Zeitpunkten (d.h. über 5 Jahre) in einem Haushalt mit einer nicht gesicherten Einkommenslage auf. Weitere 29 Prozent der Kinder erfahren Wechsel zwischen einer gesicherten und einer nicht gesicherten Einkommenslage. Bei 11 Prozent der Kinder beschränkt sich die Erfahrung einer nicht gesicherten Einkommenslage auf einen von fünf Zeitpunkten.

Viele Kinder verweilen über fünf Jahre in der anfänglichen Einkommenslage, insbesondere Kinder in der abgesicherten Lage und Kinder in der Einkommenslage „Einkommensarmut und SGB-II-Bezug“. Eine initial nicht gesicherte Einkommenslage erhöht sehr die Wahrscheinlichkeit, einer der vier Armutsmuster auch dauerhaft anzugehören. Dieses zeigt, dass es sehr schwierig ist, eine nicht gesicherte Einkommenslage bzw. den SGB-II-Leistungsbezug zu überwinden.

Anhand von 23 Einzelgütern bzw. Aspekten sozialer und kultureller Teilhabe wurden die Folgen der materiellen Unterversorgung erhoben. Bei Kindern, die dauerhaft in nicht gesicherten Verhältnissen aufwachsen fehlen 7,3 von 23 Gütern, beispielhaft seien genannt: „eine Wohnung ohne feuchte Wände und Fußboden, mindestens einmal am Tag eine warme Mahlzeit haben, einmal im Monat Freunde zum Essen zu sich nach Hause einladen können, mindestens einmal im Monat ins Kino, Theater oder Konzert gehen können.“

Allein diese wenigen Inhalte der Studie zeigen in aller Klarheit auf, dass Armut von Kindern und Jugendlichen oftmals dauerhaft ist und damit auch dauerhaft zu einer fehlenden Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft führt. Damit hat materielle Armut eine direkte Folge für die umfassende Persönlichkeitsentwicklung und Bildung von Kindern und Jugendlichen. Als Diakonie ist uns sehr wichtig mit einer gewissen Beharrlichkeit auf die Armut von Kindern und Jugendlichen mit den lebenslangen Folgen für diese in unserer wohlhabenden Gesellschaft hinzuweisen.

Mit der „Aktion Kindern Urlaub schenken“, eine gemeinsame Initiative der Diakonie Mitteldeutschland und der Diakonie Sachsen, können wir konkret Kinder unterstützen und zugleich für das Thema Kinderarmut sensibilisieren. Mit 15 Euro kann je einem sozial benachteiligten Kind ein Tag Erholung, zusätzliche Bildung und individuelle Förderung geschenkt werden. Seit Gründung der Spendenaktion im Jahr 2006 konnten mehr als 25.000 Kinder und Jugendliche in über 1.500 Maßnahmen mit insgesamt etwa 1,3 Mill. Euro Spenden gefördert werden. Mit dieser Spendenaktion verbinden wir, dass die Armut von Kindern immer wieder neu in die Öffentlichkeit rückt.

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Oberkirchenrat Christoph Stolte, Vorstandsvorsitzender Diakonie Mitteldeutschland (Foto: Frieder Weigmann)

2. Ausbau der häuslichen Pflege – neue Herausforderungen für die Teilhabe am Leben der Gemeinschaft
Viele alte Menschen wollen so lange wie möglich zu Hause in ihrer vertrauten Umgebung versorgt werden. Diese Pflege wird meist durch Angehörige und/oder durch ambulante Pflegedienste durchgeführt. Durch drei Pflegestärkungsgesetze und das damit verbundene neuen Pflegeverständnis wird häusliche Pflege in den nächsten Jahren neu ausgerichtet, gestärkt und ausgeweitet. Wenn Pflege zu Hause nicht mehr ausreichend sichergestellt werden kann und pflegende Angehörige Entlastung brauchen, braucht es passgenaue Angebote der Tages- und Kurzzeitpflege. Sie müssen ausgeweitet werden. Daher stiegen die Angebote diakonischer Tagespflegen in Mitteldeutschland in den letzten Jahren um fast 100 Prozent. Des Weiteren gibt es einen vollständig neuen Leistungsanspruch auf Kurzzeitpflege für Menschen ohne einen Pflegegrad, wodurch die bereits vielfach angemahnte Versorgungslücke geschlossen wurde. Für diesen Personenkreis ist es nun möglich, nach einem Krankenhausaufenthalt Pflege und Unterstützung zu erhalten. Im Rahmen von Entlastungsleistungen können zudem auch Angebote von Pflegediensten finanziert werden, die bei der hauswirtschaftlichen Versorgung oder der Betreuung im eigenen Haushalt helfen. Auch die Begleitung beim Gang auf den Friedhof oder die Unterstützung beim Behördengang ist möglich.

Viele alte Menschen wünschen sich den Austausch und die Gemeinschaft mit ihren Bekannten und Freunden. Vor diesem Hintergrund gewinnen örtliche Angebote immer mehr an Bedeutung, da ansonsten die Gefahr der Vereinsamung steigt. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, organisieren diakonische Einrichtungen und Kirchengemeinden vielfältige Angebote, u.a. Gesprächskreise, Vortragsreihen, Seniorencafés oder Besuchs- und Fahrdienste. Durch die fehlende Regelfinanzierung sind die Angebote für diese immer größer werdende Gruppe der Seniorinnen und Senioren auf Spenden und die Arbeit von Ehrenamtlichen angewiesen. Bitte werben Sie dafür in Ihren Kirchenkreisen und Kirchengemeinden.

3. Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe – das neue Bundesteilhabegesetz
Seit dem 1. Januar 2017 gilt das neue Bundesteilhabegesetz (BTHG), welches in vier Stufen bis zum Jahre 2024 in Kraft tritt. Ein erklärtes Ziel des Gesetzgebers ist es, eine stärkere Personenzentrierung umzusetzen. Diese bedeutet, dass dem einzelnen Menschen mit Behinderung ein Mehr an Individualität und Normalität zugestanden wird, als dies jetzt der Fall ist. So soll als leitende Handlungsmaxime das Wunsch- und Wahlrecht der betroffenen Person gestärkt werden. Dies wird als ein Beitrag gesehen, die Selbstbestimmung der Menschen mit Behinderung zu stärken.

Durch das Bundesteilhabegesetz wird ein Paradigmenwechsel forciert, der spätestens seit der Verabschiedung der UN – Behindertenrechtskonvention stattfindet. Aus einem allgemeinen Fürsorgeverständnis im Sinne von: „Ich weiß, was gut für dich ist.“, muss sich die Haltung des Hilfesystems einschließlich aller Mitarbeitenden in ein modernes Teilhaberecht ändern: „Du entscheidest, wie und wo du dich in die Gesellschaft mit deinen Neigungen, Fähigkeiten und Entwicklungspotentiale einbringen willst und ich unterstütze dich dabei.“

Die diakonischen Einrichtungen bereiten sich auf diese Veränderungen vor. Sie arbeiten beispielsweise daran, zukünftig Wohnflächen zu berechnen, zu vermieten und zu verwalten und die Kostenstrukturen der bisherigen Einrichtung den neuen Erfordernissen anzupassen, da zukünftig Wohnen und Lebensunterhalt von den Fachleistungen der Eingliederungshilfe getrennt werden.

Besonderes Augenmerk gilt auch der Personalentwicklung. So sind Weiterbildungen, die Diskussion von Haltungsfragen und Veränderungen in der Personalsteuerung notwendig. Die Menschen mit Behinderung, ihre Angehörigen und gesetzlichen Betreuer werden in den nächsten Jahren ebenso besondere Unterstützung benötigen, um sich in dem neuen System zurecht zu finden, damit sie über die Neuerungen informiert sind und die Leistungen erhalten, die sie wirklich brauchen.

Momentan ist nicht abzuschätzen, welche wirtschaftlichen Auswirkungen diese strukturellen Veränderungen für die Träger der Diakonie Mitteldeutschland mit sich bringen. Seit Anfang 2017 wird in den Fachverbänden und der Geschäftsstelle der Diakonie Mitteldeutschland gemeinsam intensiv an Konzepten zur Umsetzung gearbeitet. Das Jahr 2018 wird durch die Rahmenvertragsverhandlungen in Sachsen-Anhalt und Thüringen geprägt sein, verbunden mit dem Ziel, einen tragfähigen Weg zur Zukunftssicherung für die diakonischen Träger zu ebnen.

4. Kindertagesstätten als inklusive Lebensorte
Evangelische Kindertageseinrichtungen sind Orte, an denen Kirche und Diakonie für Menschen im Alltag erlebbar ist. Dieses Leben ist geprägt von einer Vielfältigkeit von (kulturellen) Lebensentwürfen, religiösen Ausrichtungen, finanziellen, körperlichen und geistigen Voraussetzungen. Gerade vor dem Hintergrund unseres evangelischen Verständnisses vom Zusammenleben von Menschen haben wir in unseren Kindertageseinrichtungen einen besonderen Auftrag zur Umsetzung von inklusiven Formen im Lebensalltag, der den einzelnen Menschen in den Blick nimmt. „Inklusion bedeutet, eine veränderte Blickrichtung einzunehmen. Nicht das einzelne Kind ist das ‚Problem‘, nicht sein ‚abweichendes Verhalten‘, nicht der Grad seiner Behinderung, sondern die Frage, wie das Umfeld und die Entwicklungen gestaltet werden müssen, um für jedes Kind – unter Berücksichtigung seiner individuellen Ausgangslage – bestmögliche Entwicklung und Entfaltung zu ermöglichen.“

Dieser Blick auf das einzelne Kind muss jeweils die Familie einschließen. Hier haben Kindertageseinrichtungen eine besondere Chance, da sich täglich Gesprächsmöglichkeiten mit Kindern und deren Familien eröffnen. Voraussetzung für diesen Dialog ist eine sich dieses Vorteils bewusste Haltung der pädagogischen Fachkräfte. Den wertschätzenden Umgang mit Vielfalt im pädagogischen Alltag anzuregen, ist Aufgabe von Leitung und Fachberatung. Damit Inklusion nicht zu einer leeren Worthülse in Regierungserklärungen wird, brauchen die Einrichtungen entsprechende Ressourcen. Diese liegen in der Bereitstellung von Zeit für Fort- und Weiterbildung sowie gemeinsamer Absprachen im Team und zeitlicher Kontingente für die Zusammenarbeit mit Familien. Diese Zeit kann nur über einen angemessenen Personalschlüssel sowie die Anrechnung von Vorbereitungszeit für die pädagogischen Fachkräfte erfolgen. In Sachsen-Anhalt und Thüringen steht das Thema „Inklusion“ im Bereich der Kindertagesstätten ganz oben auf der politischen Agenda, ohne jedoch die notwendigen finanziellen Ressourcen dafür vorzusehen. Derzeit werden in beiden Bundesländern die Kita-Gesetze novelliert. Trotz massiver Forderungen der LIGA-Verbände, im Bereich der inklusiven Förde-rung von Kindern nachzubessern, ist keine zusätzliche Finanzierung der inklusiven Prozesse vorgesehen.

5. Hilfe für geflüchtete Menschen
An der starken Belastung der diakonischen Migrationsfachdienste hat sich im laufenden Jahr nichts geändert. Nach wie vor sind die personellen Ressourcen dieser Dienste vor Ort nicht ausreichend, um die Vielzahl an Beratungen und die Begleitung im Integrationsprozess von Geflüchteten und Migrantinnen und Migranten abzudecken. Inhaltliche Schwerpunkte der Beratung sind z.B. der Übergang in Ausbildung und Arbeit, der Spracherwerb, der Familiennachzug, die Wohnraumsuche. Die Klientenzahlen haben sich in den vergangenen zwei Jahren verdoppelt bis verdreifacht. Hauptherkunftsländer sind angesichts der aktuellen weltpolitischen Situation Syrien (mit Abstand größte Gruppe), Afghanistan, Irak sowie Eritrea und Somalia, aber auch Russland und EU-Staaten (hier vor allem Polen).

Über das Modellprogramm „Jugendmigrationsdienste im Quartier“ ist es uns gelungen, in Gotha den Jugendmigrationsdienst zukünftig um eine Stelle aufzustocken, um damit vor Ort Angebote zur Integration von jungen Zugewanderten zu initiieren. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit von Jugendmigrationsdiensten werden präventive Angebote an Schulen sein. Diese fördert der Bund ab dem Jahr 2018 aus dem Nationalen Aktionsplan gegen Extremismus.

Im Bereich der Migrationsdienste für Erwachsene (MBE) wird bundesweit eine moderate Erhöhung der hierfür zur Verfügung stehenden Mittel erwartet. 2 Mio. Euro sind im Gespräch, bei der Diakonie Mitteldeutschland würden davon etwa 18.000 Euro ankommen. Auch das entspricht nicht annähernd dem Bedarf. Laut einer Hochrechnung der Diakonie Deutschland wäre eine Aufstockung der Mittel für dieses Programm um 24 Mio. Euro notwendig, um zu einem Beratungsschlüssel von 250 Fällen pro Vollzeitkraft zu kommen. Um den nach wie vor großen Beratungsbedarf bedienen zu können, wurden die Träger über weitere Fördermöglichkeiten über die Länder, die Kommunen und die Soziallotterien informiert. Da dies oft das Einbringen von Eigenmitteln erfordert, wurde im Gespräch mit den Beauftragten für Migration der EKM um Zuschüsse für die diakonischen Einrichtungen aus dem EKM-Flüchtlingsfonds geworben. Wir danken sehr für die bisherige Unterstützung aus dem EKM-Flüchtlingsfond und hoffen auf weitere Unterstützung projektbezogener Aktivitäten.

Seit mehreren Wochen ist das Thema Familiennachzug für geflüchtete Menschen in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion. Für alle subsidiär geschützten Personen ist der Familiennachzug bis März 2018 ausgesetzt. Dadurch soll zum einen die freiwillige Ausreise befördert werden und zum anderen wird versucht politische Zustimmung zu erreichen. Für geflüchtete Menschen, deren Familien nicht nachziehen dürfen, stellt dies eine sehr große emotionale Belastung und ein Integrationshemmnis dar.

Nach Artikel 6 des Grundgesetzes stehen Ehe und Familie unter besonderem Schutz. Bei diesem Grundrecht ist keine Personengruppe ausgeschlossen und es widerspricht grundlegender diakonischer Überzeugungen, dieses Recht an der Grenze der Nationalität enden zu lassen. Es ist unbarmherzig und unmenschlich, Kinder wissentlich von ihren Müttern und Vätern getrennt zu lassen. Es ist auch schlicht menschlich geboten, den Familiennachzug wieder zu ermöglichen.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg hat eine Studie veröffentlicht, dass derzeit ca. 120.000 Menschen im Ausland das Recht auf Nachzug bereits haben und durch die subsidiär geschützten Personen ca. 60.000 Menschen zusätzlich nach Deutschland kommen könnten. Es handelt sich daher um eine – auf die Größe Deutschland gesehen – überschaubare Personengruppe. Die Diakonie hat deutlich darauf verwiesen, dass Kinder und Familien von geflüchteten Menschen nicht politisch instrumentalisiert werden dürfen.

Daher fordern wir, den Familiennachzug für allen geflüchteten Menschen zu erlauben. Eine deutliche öffentliche Unterstützung der Forderung des Familiennachzuges der Landessynode der EKM wäre ein wichtiges politisches Signal.

Doch mit der rechtlichen Ermöglichung von Familiennachzug kann dieser oftmals noch nicht erfolgen. Mit der Aktion „Familien gehören zusammen!“ setzt sich die Diakonie Mitteldeutschland dafür ein, von Krieg und Gewalt zerrissene Flüchtlingsfamilien wieder zusammenzubringen. Dank der Hilfe vieler Spender konnten wir im Jahr 2016 fast 700 Menschen eine gefahrlose Einreise nach Deutschland ermöglichen, darunter etwa 500 Kindern.

Familien zusammenzuführen ist außerdem eine zwingende Integrationsvoraussetzung. Wie soll ein Mensch eine fremde Sprache und Kultur erlernen, wenn er nicht weiß, ob die eigenen Kinder noch gesund und am Leben sind? Mit 300 Euro können wir in der Regel einem Familienangehörigen einen gefahrlosen Weg nach Deutschland eröffnen.

Anfang 2017 startete unser Projekt „Vom Hilfesuchenden zum Helfenden - Berufliche Perspektiven für Flüchtlinge in diakonischen Einrichtungen der Altenhilfe“ mit einer Laufzeit von drei Jahren. Mit diesem Projekt wollen wir einerseits die nachhaltige Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt mittels einer beruflichen Qualifikation in der Altenhilfe fördern. Andererseits wollen wir den teilnehmenden diakonischen Altenhilfeeinrichtungen die Möglichkeit bieten, einen neuen Weg zur Verringerung des Arbeits- und Fachkräftemangels zu erproben.

Mehr über die Themen Migration und Flucht, sowie die Bemühungen um Integration lesen Sie im Diakoniebericht unter dem Titel „Hallo Du – gemeinsam Brücken bauen“, den sie alle erhalten. Uns ist es sehr wichtig, Menschen mit Migrationshintergrund und auch Fluchterfahrungen selbst mit ihrem Erleben mitten unter uns zu Wort kommen zu lassen.


Hintergrundinformationen:
Alle Informationen und Anträge zur Landessynode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland finden Sie hier. Ein Videomitschnitt des Berichtes von OKR Christoph Stolte können Sie sich außerdem auf YouTube ansehen
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