Suchtkranke Menschen: Verlierer der Pandemie

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OKR Christoph Stolte
Vorstandsvorsitzender der Diakonie Mitteldeutschland

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(2. Dezember 2021) Die Kontaktbeschränkungen der Corona-Pandemie waren für uns alle hart – und werden jetzt leider wieder notwendig. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief erst diese Woche zur Reduzierung persönlicher Kontakte auf. Besonders stark leiden suchtkranke Menschen unter der Isolation. Soziale Kontakte geben ihnen Sicherheit, Ablenkung, eine Perspektive und helfen, einen Rückfall zu vermeiden. Über die Herausforderungen der Suchtberatung in Corona-Zeiten haben wir mit der Diako Thüringen in Gera gesprochen. Das Gespräch war Teil des Diakonieberichtes auf der Synode der evangelischen Kirche in Mitteldeutschland am 18. November 2021.

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Das Team der Suchtberatungsstelle der Diako Thüringen in Gera. Die Mitarbeitenden unterstützen Menschen bei der Bewältigung ihrer Suchterkrankung. (Foto: Diako Thüringen)

Suchtberatung der Diako Thüringen gGmbH in Gera, Leiterin Annett Wetterau:

„Beginnend vom Frühjahr 2020 an beeinflussen uns die immer wieder wechselnden Kontakt- und Hygienereglungen, die mit der Corona-Pandemie einhergehen, unmittelbar in unserer täglichen Arbeit und das bis heute. Suchtberatung konnte nicht mehr in der ursprünglichen Form durchgeführt werden. Nach 40 Jahren Suchtberatung war mit einem Mal alles neu, wir mussten uns auf eine noch nie dagewesene Situation einstellen: Jegliche persönlichen Kontakte – sowohl in Einzel- als auch in Gruppengesprächen – durften nicht mehr stattfinden. Eine Situation, die schon uns als Team stark verunsichert hat. Wie musste es da erst unseren Klienten gehen? Suchterkrankungen machen vor einer Pandemie keinen Halt. Unser Ziel bestand darin, so schnell wie möglich Strategien zu entwickeln, um wieder arbeitsfähig zu sein. Die ersten Wochen führten wir ausschließlich Telefonberatungen durch. Ein Medium, welches zwar bereits Teil unseres Angebotes war, als ausschließliche Interventionsmethode aber für uns eine völlig neue Erfahrung darstellte. Die alleinige Konzentration lag jetzt auf der Stimme, andere Kommunikationsebenen – wie nonverbale Rückmeldungen – entfielen. Erschwerend kam hinzu, dass die technische Ausstattung der Beratungsstelle an Grenzen geriet. Auf dieses Problem reagierten wir mit geteilten Diensten (Früh- und Spätschicht). Das entlastete zwar die Telefonleitung aber der interne und persönliche Austausch im Team litt unter dieser Entscheidung. Gerade die notwendigen Fallbesprechungen konnten nur über ein Dienstbuch durchgeführt werden. Durch diese Erfahrungen nahm die Achtung der Arbeit zum Beispiel gegenüber der Telefonseelsorge enorm zu. Welche herausragenden Leistungen meistern diese zum größten Teil ehrenamtlichen Mitarbeitenden jeden Tag. Das war uns bis dato so nicht bewusst.

Nach den ersten Wochen dieser Einschränkungen empfanden wir es als große Erleichterung, Klientenspaziergänge im Freien anbieten zu können. Eine Art der Beratung, die wir zum Teil heute immer noch durchführen, da sie sich als effektiv und für bestimmte Klienten als positive neue Zugangsform erwiesen hat.

Auch die Beratung über Video haben wir als neue Gesprächsform getestet, wobei klar eingeschätzt werden muss, dass viele Klienten nicht über die verschiedenen erforderlichen Voraussetzungen verfügen. Für uns Berater ist diese Art der Kommunikation nur eine Ersatzlösung, da das direkte Gespräch die höchste Wirksamkeit in der Behandlung von Suchtkranken darstellt.

Die Zeitspanne der Pandemie ist für alle nicht absehbar. Ausdauer und Geduld sind für alle gefragt. Immer wieder sind wir gefordert die Form der Gespräche den sich immer wieder verändernden Rahmenbedingungen anzupassen und neue Möglichkeiten der Beratung zu suchen. Zumal die kommunalen Behörden teilweise bis heute keine Besucher in ihren Räumlichkeiten zulassen. Gerade Klienten mit Doppeldiagnosen brauchen hier Hilfe und Unterstützung, da sie sich auf Grund ihrer psychischen Beeinträchtigungen und bestehender Ängste zunehmend zurückziehen und somit notwendige Behördenkontakte nicht mehr wahrnehmen können.

Die Schließung der Schulen bzw. das Betretungsverbot für Außenstehende stellte zu Beginn der Pandemie eine katastrophale Situation für die Präventionsarbeit dar. Hier wurde ein kompletter Arbeitsbereich förmlich lahmgelegt. Umso dankbarer sind wir, dass unter strenger Einhaltung von Hygienekonzepten, der ständigen Testpflicht und der 3-G-Regelungen für Thüringer Schulen, eine Wiederaufnahme der so wichtigen Präventionsarbeit wieder möglich ist. Allerdings zeigt sich in der Praxis, dass durch genau diese Maßnahmen die Durchführung der Angebote stark eingeschränkt werden muss. Die Ganzheitlichkeit der Präventionsmaßnahmen leidet insbesondere durch die Maskenpflicht und die Abstandsregeln.

Zusammenfassend kann eingeschätzt werden, dass aus unserer Sicht vor allem psychisch erkrankte Menschen, suchtkranke Menschen und Kinder die Verlierer der Pandemie sind. Als professionelle Helfer werden wir auf geraume Zeit mit dem Thema konfrontiert sein, da diese Pandemie nicht nur kurz- sondern auch langfristige Auswirkungen auf die Menschen und damit auf die unmittelbare Arbeit der ambulanten Suchtkrankenhilfe haben wird.

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Der mahnende Hinweis auf dem Bierdeckel. Solche Materialen von der Bundezentrale für gesundheitliche Aufklärung kommen in Beratungsgesprächen und Seminaren zum Einsatz. (Foto: Diako Thüringen)

Hintergrund: Die Auswirkungen und Regelungen der Corona-Pandemie ändern sich mit dem Beginn des Winters wieder fast täglich. Umso schwerer ist es für Beratungs- und Unterstützungsangebote, wie die Suchtberatung der Diako Thüringen, verlässliche und langfristige Angebote zu planen. Die Diako Thüringen leistet mit ihren Präventions- und Beratungsangeboten einen wichtigen Beitrag um Menschen vor das Abdriften in die Sucht zu bewahren oder ihnen zur Seite zu stehen, falls Sie von einer Suchterkrankung betroffen sind. Die Beratungsstelle ist offen für Menschen, die Probleme mit Alkohol, Medikamenten, aber auch mit Glücksspiel oder Essstörungen haben. Das vollständige Beratungsangebot und weitere Informationen finden Sie auf der Webseite der Diako Thüringen.