Ich weiß, was Ausländerfeindlichkeit bedeutet

von Rabah-Melodie Moussa

(21. Oktober 2017) Eigentlich hat doch jeder einen Migrationshintergrund. Wer und was ist denn rein deutsch? Aber natürlich, so wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ihn definiert, habe ich einen Migrationshintergrund. Mein Vater ist Palästinenser aus dem Libanon, meine Mutter eine Deutsche. Ich bin in Deutschland geboren und in Euskirchen aufgewachsen – einer Stadt zwischen Köln und Bonn. Ich bin zweisprachig aufgewachsen, wir haben Zuhause deutsch und arabisch gesprochen.

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Rabah-Melodie Moussa - Projektkoordinatorin "Gemeinsam engagiert" (Foto: Frieder Weigmann)

Ich bin Jahrgang 1983. Meine Kindheit ist stark geprägt von dem Multi-Kulti der achtziger in Westdeutschland. Es gab viele Libanesen und Palästinenser in unserer Umgebung. Anfeindungen gegen Ausländer habe ich damals nicht erlebt.

Mein Vater ist in den Siebzigern als Flüchtling in die DDR gekommen und dann ganz einfach über die Grenze nach Westberlin gegangen, um später in Nordrhein-Westfalen bei seiner Familie zu leben. Es gab damals noch nicht die klaren Kategorien, die wir heute haben. Mein Vater war Asylant, hat sich irgendwie durchgeschlagen und hat deutsch auf der Straße gelernt. Integration war nicht strukturiert und geordnet. Die Leute haben irgendwo gewohnt und irgendwie gejobt und wenn sie nachweisen konnten, dass sie acht Jahre in Deutschland gelebt haben, gab es recht unkompliziert die deutsche Staatsangehörigkeit. Es wurde gesellschaftlich nicht diskutiert, was Integration ist. Es wurde auch nicht nach Religion gefragt.

Meine Mutter hat natürlich dafür gesorgt, dass in unserem Fall die Integration gut gelingt. Sie war es auch, die 1992 unseren Umzug organisiert hat. Meine Mutter hatte im Saalekreis ein Haus geerbt. Für mich begann eine schlimme Zeit. Ich wechselte aus der westdeutschen Metropolregion mit Multi-Kulti-Atmosphäre in ein Dorf in Sachsen-Anhalt. Ich war das Wessi-Kanaken-Kind. 1992 war das Jahr, als in Rostock-Lichtenhagen der Wohnblock von Ausländern unter dem Jubel der deutschen Anwohner angezündet wurde. Für einen deutschen Jungen war es damals cool, rechts zu sein. Ich war nun Zielscheibe für alle Art von Anfeindungen. Es war schrecklich. Ich war total isoliert. Mein Vater wurde angegriffen, uns wurden die Scheiben eingeschlagen, das Haus mit Hakenkreuzen beschmiert. Ich weiß seitdem, was Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus bedeuten.

Mit 16 bin ich an eine Schule nach Halle gewechselt – dann ging mein Leben erst richtig los. Hier wurde alles besser.

Mit meiner Studienwahl der Fächer Ethnologie und Arabistik hatten die Kindheitserfahrungen aber wenig zu tun. Mich hat das einfach interessiert. Und ich wollte hocharabisch lernen, die Sprache richtig lesen und schreiben können.

Nach der Uni habe ich am Max-Planck-Institut irakische Flüchtlinge im Rahmen eines Forschungsprojektes begleitet, habe untersucht, wie sich Familien in den USA und in Deutschland jeweils integrieren.

Meine kleine Tochter, vier Jahre alt, soll als freier Vogel aufwachsen. Ich möchte nicht, dass der Migrationshintergrund der Familie ihr Heranwachsen emotionalisiert. Das gilt sowohl für ausländerfeindliche Angriffe, als auch für den arabischen Teil der Familie mit der ganz eigenen Familienkultur und eigenen Traditionen. Ich selbst bin da sehr sensibel, aber für meine Tochter spielt das alles kaum eine Rolle.

Hintergrund:
Das Projekt „Gemeinsam engagiert“ soll die ehrenamtliche Arbeit der Flüchtlingshilfe in Kirchengemeinden und diakonischen Einrichtungen stärken. Qualifizierung, Weiterbildung, Vorträge, Fachtagungen und die Beratung von Einrichtungen sind Aufgaben in der Projektarbeit, ebenso die Vernetzung mit Fachstellen und hauptamtlicher Arbeit.

Gefördert wird das Projekt von der Deutschen Fernsehlotterie (Deutsches Hilfswerk), dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.